Belles Lettres
klar.»
«Alle?»
«Ja.»
«Nein, haben Sie nicht.» «Habe ich nicht?»
«Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen erklärte, daß Tool und ich neun verschollene Shakespeare-Sonette entdeckt hätten?»
«Da wäre ich sprachlos.»
«Was wissen Sie über Shakespeares Sex?»
«Meinen Sie Geschlecht, Genitalien oder Verkehr?»
«Wie er's trieb.»
«Ein Sonett spricht ausdrücklich davon, sein männlicher Freund sei ‹ ausersehn zur Frauenlust › und nicht zu seiner.»
«Vergessen Sie's! Der Eiertanz beginnt jetzt von vorn», sagte Press. Vor Aufregung mußte er sich die Mundwinkel abwischen.
XII Falsche Lügen
V orausexemplare der Ausgabe, die als «die Shakespeare-Nummer» berühmt werden sollte, wurden wie üblich zwei Tage vor der Auslieferung an die Verkaufsstellen von der Druckerei an die Redaktion geschickt; und wie üblich knallte der Bote ein Exemplar auf jeden Schreibtisch.
Nie haben Erben einem Testament größere Aufmerksamkeit gewidmet als die Redaktionsmitglieder dieser Story. Ellie Bellybands Telefon klingelte; ohne aufzusehen, hob sie den Hörer drei Zentimeter von der Gabel und ließ ihn wieder fallen. Andere baten Anrufer, später zurückzurufen. Und während jedermann las, stolzierte Press auf und ab. «Und? Und?» sagte er. «Da staunt ihr, was?»
In überdimensionierter Schriftgröße und kursiv gesetzt, füllte die Einleitung Seite Eins:
War Shakespeare schwul?
Neun neu entdeckte Sonette des Dichters liefern den Beweis
Am 2. April erreichte den Chefredakteur von Belles Lettres ein nicht unterzeichneter, eingeschriebener Brief. Er begann mit einigen Hinweisen auf die merkwürdige Publikationsgeschichte von Shakespeares Sonetten: daß sie offensichtlich ohne ausdrückliche Einwilligung des Autors 1609 in London erstmals erschienen; daß die Veröffentlichung keine bekannte, zeitgenössische Reaktion hervorrief, obwohl Shakespeares Ruhm zu Lebzeiten zu diesem Zeitpunkt auf seinem Höhepunkt war; daß das Ausbleiben von Reaktionen zu der Theorie geführt habe, die Verbreitung des Buchs sei untersagt worden; daß die Sonette über ein Jahrhundert weithin ignoriert wurden und ein Londoner Drucker erst 1711 einen Reprint der Erstausgabe veranstaltete. Seither waren sie stets lieferbar und haben eine Vielzahl von Spekulationen und Kontroversen ausgelöst; eine der am heftigsten debattierten Fragen war die, ob Shakespeare eine homosexuelle Beziehung zu «dem jungen Mann der Sonette» pflegte, für den gemeinhin der dritte Earl von Southampton gehalten wurde.
Der Brief führte aus, daß von der Erstausgabe von 1609 noch 13 bekannte Exemplare existieren, keins davon in Privatbesitz, und wies des weiteren darauf hin, daß vor kurzem ein 14. Exemplar in einem Konvolut aus Southamptons Papieren entdeckt wurde. In dem Brief wurde nun die sensationelle Behauptung aufgestellt, daß dieses 14. Exemplar zwei lose, beidseitig mit neun unnumerierten Sonetten bedruckte Bögen enthalten habe; die Drucktype und das Papier, so der Brief, seien identisch mit denen der Erstausgabe. Die meisten dieser Sonette beschreiben oder beziehen sich unmittelbar auf sexuelle Beziehungen zwischen dem Autor und dem Adressaten.
Mit der Erlaubnis, die Sonette zur Feststellung ihrer Echtheit jedem erforderlichen Gutachten zu unterziehen, wurden sie Belles Lettres angeboten. Der Brief endete mit der Bemerkung, daß der Eigentümer, der es zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorziehe, anonym zu bleiben, keinerlei finanzielle Gegenleistung erwarte. Reichliche Vergütung werde sich automatisch ergeben, sollte der dann vollständige Band mit den Sonetten je erscheinen können. Inzwischen bestehe das Interesse des Eigentümers einzig darin, seinen Fund durch die Vermittlung eines verantwortungsbewußten Publikationsorgans der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Anfänglich schien dies nur eine Mischung aus einem Scherz und einer Entführung zu sein.
Allerdings erhielt Belles Lettres am 4. April den Anruf eines Mannes, der sich als Mittelsmann des Eigentümers ausgab und ankündigte, Fotokopien der Sonette persönlich zu überbringen. Beim Mittagessen am nächsten Tag wurden sie in unsere Hände gelegt - freilich unter der Bedingung, daß wir alles in unseren Kräften Stehende tun, die Angelegenheit bis zur Veröffentlichung geheimzuhalten. Das Interesse des Eigentümers, so der Mittelsmann, ziele auf journalistische Wirkung ab. Wir stimmten der Bedingung ebenso zu, wie wir mit der geäußerten
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