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Belsazars Ende

Titel: Belsazars Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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Job ist auch nicht viel besser als unserer. Komm, Helmut, machen wir Schluß für heute.«
    »Ja, gleich. Ich will mir nur noch den Rollschrank ansehen.«
    Der große Schrank enthielt nur wenige Dinge: mehrere Fotokopien alter Ansichten und alter Stadtpläne von Kleve, ein paar Bücher zur Stadtgeschichte, ein dünnes Heftchen mit dem Titel Sie standen auf über klevische Widerstandskämpfer im Dritten Reich. Eine großformatige Zeichnung in verschiedenen Farben, mit der Toppe überhaupt nichts anzufangen wußte. Sie sah aus wie ein Grundriß; die Beschriftung bestand aus unverständlichen Kürzeln. An den Rand der Zeichnung war eine Adresse in den USA gekritzelt: Salmon Rosenberg, 1017, Bedford Drive, Chicago und eine Telefonnummer.
    Dann ein ganzer Stapel Schwarzweißfotos, offensichtlich im Nebenraum aufgenommen: Herren mittleren bis gesetzteren Alters mit jungen Mädchen – die beiden von den Fotos dort im Zimmer waren auch dabei – in verschiedenen Kombinationen und Positionen.
    »Würdest du das im weitesten Sinne als Kunst bezeichnen?« fragte Toppe.
    »Nee«, entgegnete van Appeldorn, »selbst mit dem besten Willen bleibt das hier schlichte Pornographie.«

4
    »… an jenem 9. November 1938, vor heute genau fünfzig Jahren.« Der Bürgermeister hob die Stimme: »Geschichte kann und darf nicht verleugnet, nicht verdrängt werden..«
    Die Worte mischten sich zu einem dicken Brei und drangen nur noch bruchstückhaft in Salmon Rosenbergs Bewußtsein. Gelangweilt bohrte er die Schuhspitze ins Gras.
    »… besonderer Dank gilt Herrn Rosenberg, der unserer Einladung gefolgt ist..«
    Der Rasen kräuselte sich, ließ sich abheben.
    ».. Familie Rosenberg, seit hundertfünfzig Jahren Bürger unserer Stadt.. dem größten Kaufhaus am Ort.. und ihre wirtschaftliche Bedeutung..«
    Salmon Rosenberg kicherte. Rollrasen – es sah ganz so aus, als habe man diese Gedenkstätte in aller Eile hergerichtet.
    »… tiefes Bedauern, daß diese Familie gezwungen wurde, ihre Heimat zu verlassen..«
    Er schob den Schuh weiter unter die Rasenkante – Asphalt wurde sichtbar – klappte sie um und erkannte ein Stück des Piktogramms für einen Behindertenparkplatz.
    Sein Kichern wurde heftiger; er versuchte es wegzuatmen, aber es wollte nicht gelingen.
    Die kleine Gesellschaft geriet in Unruhe. Man wechselte betretene Blicke, aber keiner sah ihn an; nicht die evangelische Jugend mit dem Transparent WIR SAGEN NEIN, nicht der Bürgermeister, nicht einmal der Pastor mit dem sanften Gesicht.
    Jemand zischelte: »Wer ist das denn?«
    Am Rednerpult gab es einen hastigen Rollenwechsel.
    Der Mann im Burberry räusperte sich jetzt. Er heftete seinen ungeduldigen Bück auf Rosenberg.
    »Hans Roderik van Velden«, hatte ihn der Bürgermeister angekündigt.
    Rosenberg erwiderte den Blick mit fragendem Stirnrunzeln. Van Velden?
    »… möchte ich selbst bescheiden zurücktreten hinter das Andenken an meinen Vater, der uns leider allzu früh verlassen mußte..«
    Van Velden!
    »… jedes Gedenken der Opfer schließt auch das Gedenken derer mit ein, die Widerstand leisteten. Auch in dieser Stadt gab es Menschen, die sagten: Nein!«
    Das Lachen kam in kurzen lautlosen Explosionen.
    Van Velden ließ ihn nicht aus den Augen. Er redete schnell und laut.
    »Menschen, die – ungeachtet des persönlichen Risikos für Leib und Leben – sich verweigerten.«
    Salmon Rosenberg lachte.

5
    Von den Türmen der nahen Stiftskirche schlug es vier, als Toppe vor van Appeldorns Wohnung hielt, um ihn abzusetzen. Aus dem ersten Stock tönte durchdringendes Babygeschrei.
    »Na, das war’s denn wohl, von wegen Nachtruhe«, seufzte van Appeldorn ergeben. »Sie läßt sich nämlich nur von mir beruhigen, wenn sie Schmerzen hat. Wir sehen uns dann mittags.«
    Dabei war er schon aus dem Wagen gesprungen und eilte zur Haustür.
    Toppe konnte sich ein leises Schmunzeln über den Stolz, der deutlich in van Appeldorns Stimme mitklang, nicht verkneifen.
    Noch bis vor zwei Jahren war van Appeldorn für alle der typische Junggeselle gewesen: Fußballer bei den Alten Herren in Materborn, ein Biertrinker, der gern in Kneipen und auf Kegeltouren ging. Ohne große Worte zu machen, hatte er sich stur und lange erfolgreich gegen Ehe und Familie gewehrt, aber als dann seine Freundin Marion, die Ex-Frau eines Kegelbruders, schwanger wurde, hatte er schließlich doch geheiratet und sich sogar den Erziehungsurlaub mit ihr geteilt. Nora, seine Tochter, war inzwischen schon anderthalb,

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