Belsazars Ende
mit einem spirgeldünnen Hals, auf dem der schwere Kopf wie ein Fremdkörper hockte. Die Augen hinter den zentimeterdicken Brillengläsern waren nur zwei verschwommene Punkte. Sein Alter war nicht zu schätzen; irgendwo zwischen fünfundvierzig und sechzig. Er roch nach Eukalyptus.
»Mein Chef ist nicht da«, sagte er und schob Toppe einen Stuhl hin, aber beide blieben sie stehen. »Er hat mir jedoch gesagt, daß Sie hier gewesen sind und was Sie wollten. Ich könnte Ihnen wohl zeigen, was Herr van Velden bei uns durchgearbeitet hat.« Er kam zwei Schritte näher. »Hab’ mir auch den Plan ganz genau angesehen, den mein Chef fotokopiert hat. Ich hätte Ihnen sagen können, wo das ist, aber«, er zeigte mit dem Kinn in Richtung Amphitheater, »Sie sind ja wohl schon selber draufgekommen.«
Toppe zog die Augenbrauen hoch.
»Na ja, ich war kurz eben drüben, als ich all die Menschen da gesehen hab’.«
»War van Velden eigentlich immer alleine hier?« fragte Toppe.
»Wie, alleine?«
»Ich meine, wurde er von jemandem begleitet? Hat er mit jemandem zusammen die Unterlagen eingesehen?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Also wußten praktisch nur die Angestellten hier, welche Papiere van Velden rausgesucht hat.«
Der Mann nickte. »Und der Reporter natürlich.«
»Welcher Reporter?«
»Na, dieser Rambach. Der wollte doch eine dicke Biographie über van Velden schreiben.«
»Und woher wußte der, was sich van Velden angeguckt hat?«
»Von uns! Das war ja kein Geheimnis, oder?«
Toppe antwortete nicht.
»Der hat öfter Interviews mit uns gemacht«, verteidigte sich der Mann hastig. »Wollte wissen, wie wir van Velden so kennen, was wir von ihm halten, all so was.«
»Und er wollte auch wissen, womit sich van Velden hier beschäftigte?«
»Sicher! Wäre ein wichtiger Gesichtspunkt in van Veldens künstlerischen Entwicklung, sagte Rambach.«
»Und Sie haben Rambach die Unterlagen gezeigt?«
»Durfte ich das nicht?«
Toppe lachte. »Keine Sorge, Sie haben nichts falsch gemacht.«
»Wir haben bei uns keine Schweigepflicht«, sagte der Mann hart.
»Eben«, meinte Toppe. »Haben Sie Rambach den Lageplan gezeigt?«
»Nein! Es gibt doch gar keinen Lageplan. Da sind bloß die Aufzeichnungen von Doktor Schütte; die hab’ ich ihm gezeigt.«
»Kann ich die mal sehen?«
»Selbstverständlich.«
Der Mann verschwand zwischen den Regalreihen, Toppe hörte ihn murmeln; dann kam er mit einem kleinen Büchlein zurück: Les Amusements Des Eaux De Cleves, in dunkelrotes Leder gebunden.
»Wollen Sie es ganz lesen, oder darf ich Ihnen die entsprechende Stelle zeigen?«
»Ja, zeigen Sie mir die Stelle.« Toppe setzte sich an einen der Arbeitstische, die eine aufdringliche Ähnlichkeit mit ausrangierten Schulbänken hatten.
»Hier!«
Der Mann legte ihm das aufgeschlagene Buch hin.
Anfangs hatte Toppe Schwierigkeiten mit der ungewohnten Schrift und der gestelzten Sprache, aber nach zwei Seiten hatte er sich eingelesen.
Der Archivar war nirgends zu sehen, Dr. Schütte beschrieb akribisch über viele Seiten den Bau der Stollen, die Schwierigkeiten mit den Arbeitern, die Probleme, die sie mit den Felsen gehabt hatten. Und er gab recht genau die Stelle an, wo sich der Eingang befunden hatte.
Toppe klappte das Buch zu, wollte den Archivar rufen, aber er hatte ihn nicht nach seinem Namen gefragt.
Ein Räuspern genügte, und der Mann stand schon wieder hinter ihm. Er bewegte sich lautlos.
Der würde sich wunderbar machen in einem Gruselfilm, dachte Toppe. »Das war’s schon«, sagte er und gab dem Archivar das Buch zurück. »Ich glaube, Sie haben mir geholfen.«
»Na ja«, meinte der Mann, und man konnte nicht sagen, ob ihm das recht oder eher unlieb war.
Toppe ging zum Parkplatz zurück, holte den Wagen und fuhr zur Bücherei.
Rambach hatte bei ihrem Gespräch nicht gelogen; er hatte nur geschickt formuliert. Aber warum hatte er nicht mehr über die Amphitheatersache gesagt? Warum hatte er die Geschichte so runtergespielt?
Er wußte von Rosenberg, daß der alte van Velden Geld kassiert hatte. Er wußte auch, daß Roderik van Velden mit Rosenberg gesprochen hatte. Van Veldens Interesse an den historischen Anlagen hatte sich schon 1988 geregt, nicht erst im Vorfeld des Stadtjubiläums. Wie lange hatte Rambach das schon gewußt?
Die Frau bei der Stadtbücherei war genauso hilfsbereit wie neulich. »Doch, ich kenne Siegfried Rambach. Der schreibt doch an einer van Velden-Biographie. Er hat sich schon oft mit mir
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