Ben - Alles auf Anfang (German Edition)
plötzlich reich geworden bin in letzter Zeit? Oder machen Sie grundsätzlich Hausbesuche bei Ihren Opfern?“
Verwirrt sehe ich zwischen den Beiden hin und her und kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass hier gerade ein Film spielt, den ich noch nicht kenne. Ich meine – Hausbesuche? Opfer? Wovon zum Geier spricht Manuel da?
Markus ist aber die Ruhe selbst. Souverän schiebt er die Hände in seine Anzugtaschen und lächelt milde.
Keine Ahnung, ob man das im Jurastudium in einem besonderen Kurs lernt, oder ob das die Gene sind, jedenfalls erinnert er mich geradezu unheimlich an unseren Vater in einem Mandantengespräch.
„Nein, keine Sorge“, erwidert er und schaut immer noch lächelnd zu mir. „Ich bin nur hier, weil ich meinen kleinen Bruder besuchen will. Das ist alles.“
Manuel neben mir erstarrt. Ich sehe zu ihm rüber und erlebe eine Weltpremiere: Manuel, der eben noch im Freibad einen homophoben Alten mühelos in die Schranken gewiesen hat, ist sprachlos.
Aber wieso eigentlich? Hab ich hier was nicht mitgekriegt?
„Ben?“, wendet sich Markus jetzt an mich. „Wie sieht`s aus? Bittest du mich nicht rein?“
…
Was?
Immer noch laufen meine grauen Zellen Amok, um aufzudröseln was hier gerade eben passiert ist. Halten wir uns an die Fakten – vielleicht hilft das ja?
Fakt ist: Manuel kennt Markus.
Fakt ist auch: Manuel ist nicht gut auf Markus zu sprechen.
Er hat meinen Bruder mit „Herr Anwalt“ angesprochen, also liegt der Gedanke nah, dass Markus beruflich mit ihm zu tun hatte, womöglich im Rahmen irgendeines Prozesses. Und dass Manuel sich selbst als „Opfer“ bezeichnet hat, legt die Vermutung nahe, dass er den fraglichen Prozess verloren hat.
Moment … irgendwas klingelt in meinem Hinterkopf! Hat Manuel nicht erzählt, dass er erfolglos gegen den Beschluss des Sozialamtes geklagt hat, für seine leibliche Mutter aufkommen zu müssen … ??
Entsetzt sehe ich zu Markus auf.
„Du warst das also?“, presse ich entrüstet hervor, und er hebt erstaunt die Brauen.
„Was war ich also?“ fragt er nach, und ich muss erst mal nach Luft schnappen, so empört bin ich.
„Du warst der Paragrafenreiter, der dafür gesorgt hat, dass Manuel sein Studium aufgeben musste!“, werfe ich ihm dann an den Kopf, und er runzelt die Brauen.
„Ben, ich bin Anwalt!“, sagt er, als spräche er mit einem kleinen Kind. „Und ich handle im Interesse meiner Mandanten, so wie das die Vertreter der Gegenseite ebenfalls tun! Einer gewinnt, einer verliert. So läuft das eben.“
„Aber es ist nicht fair!!“, begehre ich wütend auf. Manuel neben mir hat sich noch nicht gerührt bis jetzt, und ich fühle die Verpflichtung, seine Sache zu vertreten, wenn er es schon nicht tut.
„Seine Mutter hat ihn weggegeben! Sie hat sich nie um ihn gekümmert! Und trotzdem soll er für sie zahlen! Nennst du das etwa Gerechtigkeit?“ Ich werde laut, denn ich bin wütend wie selten.
„Da geht es nicht um Gerechtigkeit, Ben, sondern um Gesetze!“ Auch Markus wird ein wenig lauter. „Soweit ich mich überhaupt noch an den Fall erinnere, ist seine Mutter vor dem Gesetz noch immer seine Mutter, weil sie ihn nie zur Adoption freigegeben hat. Und deshalb sieht der Gesetzgeber vor, dass er für sie unterhaltspflichtig ist! So einfach ist das.“
So einfach … ?
Mir platzt der Kragen. „Das nennst du einfach? Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit!“
Ich spüre eine Hand auf meinem Arm und drehe den Kopf. Manuel sieht mich aus seinen grünen Augen kühl an und meint: „Lass gut sein, Ben. Das bringt doch alles nichts mehr. Weißt du was? Geh mit deinem Bruder lieber wieder zurück nach Hause! Das ist das Beste. Für alle Beteiligten!“
Damit lässt er mich stehen und verschwindet in der Haustür.
Hä? Was ist denn nun los?
„Manuel!“, rufe ich und will ihm hinterher, aber Markus greift nach mir und hält mich zurück.
„Was hast du denn mit dem zu schaffen?“, will er wissen, und ich rudere mit dem Arm, um mich loszureißen.
„Das geht dich einen feuchten Dreck an, du … du Winkeladvokat!“, pflaume ich ihn an, und er runzelt die Stirn, lässt mich aber immer noch nicht los.
„Nun werd` nicht kindisch, Ben!“, sagt er streng. „Antworte mir lieber. Ist der Typ etwa dein …
Lover
?“
Es klingt abfällig wie er das sagt, und er zieht einen Mundwinkel nach unten, als hätte er irgendwas Ekelhaftes in seine Nase bekommen. Und ich begreife plötzlich, dass er gar nicht so liberal
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