Benedikt XVI
tragen. Wie mir der Erzbischof von Sao Paulo sagt,
entstehen dort fortwährend neue Bewegungen. Es ist also eine Kraft des
Aufbruchs und des neuen Lebens da.
Oder
denken wir daran, was die Kirche für Afrika bedeutet. Sie ist dort oft das
Einzige, was in den Verwirrungen und Zerstörungen der Kriege immer bleibt; der
einzige Hort, wo noch Menschlichkeit da ist, wo etwas für die Menschen getan
wird. Sie setzt sich dafür ein, dass das Leben weitergehen kann, dass für
Kranke gesorgt wird, dass Kinder zur Welt kommen und erzogen werden können.
Sie ist eine Lebenskraft, die immer wieder neu auch Begeisterung schafft und
dann neue Wege hervorbringt.
Weniger
deutlich, aber dennoch unverkennbar gibt es auch bei uns im Westen den Aufbruch
neuer katholischer Initiativen, die nicht von einer Struktur, von einer
Bürokratie befohlen sind. Die Bürokratie ist verbraucht und müde. Diese
Initiativen kommen von innen heraus, aus der Freude junger Menschen. Das
Christentum nimmt vielleicht ein anderes Gesicht, auch eine andere kulturelle
Gestalt an. Es hat nicht den Kommandoplatz in der Weltmeinung inne, da regieren
andere. Aber es ist die Lebenskraft, ohne die auch die anderen Dinge nicht
weiterbestehen würden. Insofern bin ich durch das, was ich selber sehen und
erleben darf, ganz optimistisch, dass das Christentum vor einer neuen Dynamik
steht.
Manchmal hat man dennoch den
Eindruck, als sei es ein Naturgesetz, dass sich gewissermaßen das Heidentum
immer wieder jene Flächen zurückholt, die vom Christentum gerodet und urbar
gemacht wurden ...
Dass gemäß der erbsündigen
Struktur des Menschen das Heidentum in ihm immer wieder durchbricht, ist eine
Erfahrung, die sich durch alle Jahrhunderte zieht. Die Wahrheit der Erbsünde
bestätigt sich. Immer wieder fällt der Mensch hinter den Glauben zurück, will
er wieder nur er selber sein, wird er Heide im tiefsten Sinn des Wortes.
Aber immer
wieder zeigt sich auch die göttliche Präsenz im Menschen. Das ist das Ringen,
das durch die ganze Geschichte hindurchgeht. Wie der heilige Augustinus gesagt
hat: Die Weltgeschichte ist ein Kampf zwischen zweierlei Formen von Liebe: der
Liebe zu sich selbst - bis zur Zerstörung der Welt; und der Liebe für den
Anderen - bis zum Verzicht auf sich selbst. Dieser Kampf, den man immer sehen
konnte, ist auch jetzt im Gange.
Zeit
der Umkehr
Am Beginn des dritten Jahrtausends
erleben die Völker der Erde einen Umbruch von bislang unvorstellbarem Ausmaß - ökonomisch,
ökologisch, gesellschaftlich. Wissenschaftler sehen das nächste Jahrzehnt als
entscheidend für das Fortbestehen dieses Planeten an.
Heiliger
Vater, Sie selbst fanden im Januar 2010 vor Diplomaten in Rom dramatische
Worte: "Unsere Zukunft und das Schicksal unseres Planeten sind in Gefahr."
Wenn es nicht bald gelinge, auf breiter Basis eine Umkehr einzuleiten, so an
anderer Stelle, würden sich Hilflosigkeit und ein Szenario des Chaos gewaltig
verstärken. In Fatima hatte Ihre Predigt einen fast schon apokalyptischen Ton:
"Dem Menschen ist es gelungen, einen Kreislauf des Todes und des
Schreckens zu entfesseln, den er nicht mehr zu durchbrechen vermag."
Sehen Sie
in den Zeichen der Zeit die Signale einer Zäsur, die die Welt verändert?
Es gibt natürlich Zeichen, die uns
erschrecken lassen, die uns beunruhigen. Es gibt aber auch die anderen Zeichen,
an die wir anknüpfen können und die uns Hoffnung geben. Wir haben ja über das
Szenario des Schreckens und der Gefährdung bereits ausführlich gesprochen. Ich
würde hier noch eines hinzufügen, das mir von den Besuchen der Bischöfe her
besonders auf der Seele brennt.
Ganz viele
Bischöfe, vor allen Dingen aus Lateinamerika, sagen mir, dass da, wo die
Straße des Drogenanbaus und Drogenhandels verläuft - und das sind große Teile
dieser Länder -, es so ist, wie wenn ein böses Untier seine Hand auf das Land
gelegt hätte und die Menschen verdirbt. Ich glaube, diese Schlange des Drogenhandels
und -konsums, die die Erde umspannt, ist eine Macht, von der wir uns nicht
immer die gebührende Vorstellung machen. Sie zerstört die Jugend, sie zerstört
Familien, sie führt zur Gewalt und gefährdet die Zukunft ganzer Länder.
Auch dies
gehört zu den schrecklichen Verantwortungen des Westens, dass er Drogen
braucht, und dass er damit Länder schafft, die ihm das zuführen müssen, was sie
am Ende verbraucht und zerstört. Da ist eine Gier nach Glück entstanden, die
sich mit dem Bestehenden nicht
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