Benedikt XVI
aus der Perspektive des
kommenden Christus darzustellen.
Oft wurde
dieser Kommende zwar einerseits in wahren, zugleich aber auch in abgestandenen
Formeln vorgetragen. Sie sprechen nicht mehr in unseren Lebenszusammenhang
herein und sind oft für uns nicht mehr verständlich. Oder aber dieser Kommende
wird ganz entleert und zu einem allgemeinen moralischen Topos umgefälscht,
von dem nichts kommt und der nichts bedeutet.
Wir müssen
also versuchen, tatsächlich die Substanz als solche zu sagen - aber sie neu zu
sagen. Jürgen Habermas hat gemeint, es ist wichtig, dass Theologen da sind,
die den Schatz, der in ihrem Glauben verwahrt ist, so zu übersetzen vermögen,
dass er in der säkularen Welt ein Wort für diese Welt ist. Er wird es
vielleicht etwas anders verstehen als wir, aber er hat darin Recht, dass der
innere Übersetzungsvorgang der großen Worte in das Wort- und Denkbild unserer
Zeit zwar im Anlaufen, aber noch nicht wirklich geglückt ist. Dies kann nur
gelingen, wenn Menschen das Christentum vom Kommenden her leben. Erst dann
können sie es auch aussagen. Die Aussage, die intellektuelle Übersetzung,
setzt die existenzielle Übersetzung voraus. Insofern sind es die Heiligen, die
Christsein gegenwärtig und künftig leben, und aus deren Existenz heraus der
kommende Christus auch übersetzbar wird, so dass er im Verstehenshorizont der
säkularen Welt gegenwärtig werden kann. Das ist der große Auftrag, vor dem wir
stehen.
Die Wende unserer Zeit brachte
andere Lebensformen und Lebensphilosophien mit sich, aber auch eine andere
Wahrnehmung von Kirche. Die Fortschritte der medizinischen Forschung stellen
riesige ethische Herausforderungen dar. Nach Antworten verlangt auch das neue
Universum des Internets. Johannes XXIII. hat den Wandel nach den beiden
Weltkriegen aufgegriffen, um die "Zeichen der Zeit", wie es in der
Einberufungsbulle "Humanae salutis" vom 25. Dezember 1961 heißt, auf
einem Konzil zu deuten, auch wenn er damals schon ein alter und kranker Mann
war.
Wird Benedikt XVI. es ihm gleichtun?
Nun, Johannes XXIII. hat einen
großen und nicht wiederholbaren Gestus gemacht, indem er einem universalen
Konzil anvertraut hat, das Wort des Glaubens heute neu zu verstehen. Vor allen
Dingen hat das Konzil den großen Auftrag nachgeholt und eingelöst, sowohl die
Bestimmung als auch die Relation der Kirche zur Neuzeit und auch die Beziehung
des Glaubens zu dieser Zeit mit ihren Werten neu zu definieren. Aber das Gesagte
dann in Existenz umzusetzen und dabei in der inneren Kontinuität des Glaubens
zu bleiben, ist ein viel schwierigerer Prozess als das Konzil selbst. Zumal das
Konzil in der Interpretation der Medien in die Welt gekommen ist und weniger
mit seinen eigenen Texten, die kaum von jemand gelesen werden.
Ich
glaube, unsere große Aufgabe ist jetzt, nachdem einige Grundfragen geklärt
sind, in erster Linie die Priorität Gottes neu ans Licht zu bringen. Heute ist
das Wichtige, dass man wieder sieht, dass es Gott gibt, dass Gott uns angeht
und dass er uns antwortet. Und dass umgekehrt, wenn Er wegfällt, alles andere
noch so gescheit sein kann - aber dass der Mensch dann seine Würde und seine
eigentliche Menschlichkeit verliert und damit das Wesentliche zusammenbricht.
Deswegen, so glaube ich, haben wir heute als neuen Akzent die Priorität der
Gottesfrage zu setzen.
Sie denken, die katholische Kirche
könnte wirklich um das Dritte Vatikanische Konzil herumkommen?
Wir haben insgesamt über 20
Konzilien gehabt, es wird sicher irgendwann wieder eines geben. Im Augenblick
sehe ich die Voraussetzungen dafür nicht. Ich glaube, dass im Moment das
richtige Instrument die Bischofssynoden sind, in denen der ganze Episkopat
vertreten und sozusagen auf Suchbewegung ist, die ganze Kirche beieinanderhält
und sie zugleich vorwärtsführt. Ob dann irgendwann der Augenblick wieder da
ist, das in einem großen Konzil zu machen, das sollten wir der Zukunft
überlassen.
Im Moment
brauchen wir vor allem geistliche Bewegungen, in denen die Weltkirche, aus den
Erfahrungen der Zeit schöpfend und zugleich aus der inneren Erfahrung des
Glaubens und seiner Kraft kommend, Wegmarken setzt - und damit die Präsenz
Gottes wieder zum Kernpunkt macht.
Als Nachfolger Petri erinnern Sie immer
wieder an den entscheidenden "Plan", den es für diese Welt gebe.
Nicht einen Plan A oder irgendeinen Plan B, sondern den Plan Gottes. "Gott
steht der Menschheitsgeschichte nicht gleichgültig gegenüber",
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