Benedikt XVI
um
eine "Modernisierung" der Kirche verzichtet worden wäre. Der
Philosoph Rüdiger Safranski kritisierte, Christentum habe sich dabei zu einem "kalten
Religionsprojekt" entwickelt, zu einem "Gemisch aus Sozialethik,
institutionellem Machtdenken, Psychotherapie, Meditationstechnik,
Museumsdienst, Kulturmanagement und Sozialarbeit". In einem weit
verbreiten So-wie-alle-sein-Wollen, beobachten Kritiker, sei im Kirchenvolk
das Gespür dafür abhanden gekommen, dass der Glaube aus ganz anderen Wurzeln
wächst als die Spaßgesellschaften des Westens. Aber auch viele Theologen und
Priester haben sich inzwischen so weit von der Grundlinie entfernt, dass ein
katholisches Profil oft nur noch ganz schwer zu erkennen ist. Was ist da
schiefgelaufen?
Nun, es sind eben die Kräfte des
Zerfalls, die in der Menschenseele da sind. Hinzu kommt das Streben danach,
beim Publikum anzukommen; oder auch, irgendeine Insel zu finden, wo es Neuland
gibt und wir noch eigenständig gestalten können. Es geht dann entweder in die
Richtung, dass man politischen Moralismus betreibt, wie es in der
Befreiungstheologie und in anderen Experimenten der Fall war, um auf diese
Weise sozusagen dem Christentum Gegenwärtigkeit zu geben. Oder es wandelt sich
in Richtung Psychotherapie und Wellness, in Formen also, wo Religion damit
identifiziert wird, dass ich irgendein ganzheitliches Wohlbefinden habe.
Alle diese
Versuche gehen daraus hervor, dass man die eigentliche Wurzel, den Glauben,
weglässt. Was dann bleibt - das haben Sie in Ihren Zitaten richtig beschrieben
-, sind selbstgemachte Projekte, die vielleicht einen begrenzten Lebenswert
haben, die aber keine überzeugende Gemeinschaft mit Gott herstellen und auch
die Menschen nicht bleibend miteinander verbinden können. Es sind Inseln, auf
denen sich gewisse Leute ansiedeln, und diese Inseln sind vergänglicher Art,
weil die Moden bekanntlich wechseln.
In diesem Zusammenhang muss man
fragen: Wie ist es möglich, dass in vielen Ländern des Westens alle Schulkinder
viele Jahre lang katholische Religion lernen, um am Ende vielleicht den
Buddhismus, vom Katholizismus aber noch nicht einmal die Grundmerkmale zu
kennen? All dies geschieht unter der Verantwortung der Bistümer.
Das ist eine Frage, die ich mir
auch stelle. In Deutschland hat jedes Kind neun bis dreizehn Jahre Religionsunterricht.
Wieso dann gar so wenig hängen bleibt, um es mal so auszudrücken, ist
unbegreiflich. Hier müssen die Bischöfe in der Tat ernsthaft darüber
nachdenken, wie der Katechese ein neues Herz, ein neues Gesicht gegeben werden
kann.
Auch in kirchlichen Medien hat
sich eine heute als chic geltende "Kultur des Zweifelns" eingenistet.
Ganze Redaktionen übernehmen dabei unkritisch die Schlagwörter der üblichen
Kirchenkritik. Bischöfe folgen ihren Medienberatern, die ihnen einen seichten
Kurs empfehlen, damit ihr liberales Image keinen Schaden nehme. Wenn dann auch
noch große kircheneigene Medienkonzerne religiöse Bücher aus dem
Hauptsortiment nehmen - ist es dann nicht problematisch, noch glaubwürdig von
Neuevangelisierung zu sprechen?
Das sind alles Phänomene, die man
nur mit Trauer beobachten kann. Dass es sozusagen Berufskatholiken gibt, die
von ihrer katholischen Konfession leben, aber in denen die Quelle des Glaubens
offenbar nur noch ganz leise, in einzelnen Tropfen wirksam wird. Wir müssen
uns wirklich darum bemühen, dass das anders wird. Ich beobachte in Italien -
wo es weit weniger institutionelle kirchliche Unternehmen gibt -, dass
Initiativen nicht deshalb entstehen, weil die Kirche als Institution etwas einrichtet,
sondern weil die Menschen selbst gläubig sind. Spontane Aufbrüche entstehen
nicht aus einer Institution, sondern aus einem authentischen Glauben heraus.
Kirche muss immer auch in Bewegung
bleiben, sie ist permanent "auf dem Weg". Fragt sich der Papst nicht
auch, ob er sich bei manchen Dingen nicht gegen etwas stemmt, das gar nicht
aufzuhalten ist, weil es einfach dem notwendigen Zivilisationsprozess
entspricht, dem sich die Kirche nicht verweigern kann?
Man muss natürlich immer fragen,
welche Dinge, auch wenn sie einmal als wesentlich christlich galten, in
Wirklichkeit nur Ausdruck einer bestimmten Epoche waren. Was also ist das
wirklich Wesentliche? Das heißt, wir müssen immer wieder auf das Evangelium und
die Worte des Glaubens zurückgehen, um zu sehen: erstens, was gehört dazu?;
zweitens, was ändert sich rechtmäßig im Wandel der Zeiten?; und
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