Benedikt XVI
großen Staatslenkern sehe ich ein starkes
Bewusstsein dafür, dass ohne die Kraft der religiösen Autorität die Welt nicht
funktionieren kann.
Bevor wir über Probleme der
katholischen Kirche und über die Zukunft der Kirche sprechen, möchte ich nachfragen,
was Kirche, dieser "geistliche Organismus", wie Sie einmal sagten,
überhaupt ist. Sie haben in einer Predigt auf ein Wort Pauls VI.
zurückgegriffen, der die Kirche, wie er sagte, so sehr liebte, dass er sie
stets "umarmen, grüßen, lieben wollte". Der Papst meinte darin: "Ich
möchte sie schließlich in allem verstehen, in ihrer Geschichte, ihrem
göttlichen Heilsplan, in ihrer endgültigen Bestimmung, in ihrer Komplexität."
Paul VI. schloss mit den Worten: "geheimnisvoller Leib Christi".
Er hat damit aufgegriffen, was der
heilige Paulus entwickelt hat, der die Kirche als die bleibende Leibhaftigkeit
Christi, als den lebendigen Organismus Christi definiert hat. Paulus begriff
sie eben nicht als Institution, nicht als Organisation, sondern als lebendigen
Organismus, in dem alle miteinander und zueinander wirken, in dem sie von
Christus her geeint sind. Das ist ein Bild, aber ein Bild, das in die Tiefe
führt und schon deswegen sehr realistisch ist, weil wir glauben, dass wir in
der Eucharistie wirklich Christus, den Auferstandenen, empfangen. Und wenn
jeder den gleichen Christus empfängt, sind wir alle wirklich in diesem neuen,
auferstandenen Leib als dem großen Raum einer neuen Menschheit versammelt.
Das zu verstehen ist wichtig, um von daher Kirche nicht als einen Apparat zu begreifen,
der alles Mögliche machen muss - der Apparat gehört auch dazu, aber in Grenzen
-, sondern als lebendigen Organismus, der von Christus selbst herkommt.
In vielen Ländern kämpfen Laieninitiativen
für mehr Unabhängigkeit von Rom und eine national und demokratisch
ausgerichtete Landeskirche. Der Vatikan wird dabei als eine Diktatur
gezeichnet, der Papst als jemand, der mit autoritärer Hand seine Positionen
durchdrückt. Wer die Situation genauer betrachtet, bemerkt eher die Zunahme der
Zentrifugal- als der Zentralkräfte, eher den Aufstand gegen Rom als die
Solidarität mit Rom. Gibt es durch den nun seit Jahrzehnten anhaltenden
Richtungskampf nicht längst auch eine Art Schisma innerhalb der katholischen
Kirche?
Zunächst einmal würde ich sagen,
der Papst hat nicht die Macht, etwas zu erzwingen. Seine "Macht"
besteht allein darin, dass Überzeugung da ist, dass die Menschen begreifen:
Wir gehören zusammen, und der Papst hat einen Auftrag, den er sich nicht selbst
gegeben hat. Nur wenn Überzeugung da ist, kann das Ganze gelingen. Nur durch
die Überzeugung des gemeinsamen Glaubens kann die Kirche auch gemeinschaftlich
leben. Ich bekomme so viele Briefe von einfachen Menschen wie auch prominenten
Persönlichkeiten, die mir schreiben: "Wir sind eins mit dem Papst, für
uns ist er der Stellvertreter Christi und der Nachfolger Petri, seien Sie
versichert, wir glauben und leben in der Gemeinschaft mit Ihnen."
Natürlich
gibt es immer schon, nicht erst jetzt, die zentrifugalen Kräfte, die Tendenz zu
Nationalkirchen, die ja auch entstanden sind. Doch gerade heute, in der
globalisierten Gesellschaft, in der Notwendigkeit einer inneren Einheit der
Weltgemeinschaft, wird sichtbar, dass dies eigentlich Anachronismen sind. Es
wird deutlich, dass eine Kirche nicht wächst, indem sie sich national
einigelt, sich separiert und in einen bestimmten Kulturteil hineinsperrt und
diesen verabsolutiert, sondern dass Kirche Einheit braucht, dass sie so etwas
wie Primat braucht.
Für mich
war interessant, dass der in Amerika lebende orthodoxe russische Theologe John
Meyendorff gesagt hat, ihre Autokephalien seien ihr größtes Problem; sie
brauchten so etwas wie einen Ersten, einen Primas. Auch in anderen Gemeinschaften
wird das gesagt. Die Probleme der nichtkatholischen Christenheit beruhen sowohl
vom Theologischen als auch vom Pragmatischen her weitgehend auch darauf, dass
sie kein Organ der Einheit haben. So wird auch von daher deutlich, dass ein
Einheitsorgan nötig ist, das natürlich nicht diktatorisch handelt, sondern aus
der inneren Gemeinschaft des Glaubens heraus. Es wird zwar weiterhin die zentrifugalen
Tendenzen geben, aber die Entwicklung der Geschichte, der Richtungspfeil der
Geschichte sagt uns: Kirche braucht ein Organ der Einheit.
In den vergangenen Jahrzehnten gab
es in vielen Bistümern kaum ein pastorales Experiment, auf das im Bemühen
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