Benjamins Gärten (German Edition)
einen runter, während er in der Hängematte döste. Manchmal revanchierte er sich mit geschickter, beherrschter Hand.
Einmal brachte er einen Joint mit, saß an einen Baumstamm gelehnt und rauchte ihn. Ich legte den Kopf in seinen Schoß. Er hielt den Joint an meine Lippen, nachdem er einen Zug genommen hatte. Seine Fingerspitze streiften meine Lippen. Als der Stummel aufgeraucht war, fühlte ich mich seltsam leicht und ein bisschen übel. Ich hob meinen Kopf, öffnete seine Hose und beugte mich über ihn. Kämpfte erfolgreich gegen meine Übelkeit. Fand Gefallen daran. Seine Hand fuhr entspannt durch meine Haare.
Ich beugte mich nun immer hinunter, wenn ich seine Hand mit sanftem Griff in meinem Haar spürte. Ich redete mir ein, es sei mir egal, dass er nie dasselbe bei mir tat. Doch einmal lag ich im hohen Gras, das T-Shirt unterm Kopf. Er kam näher, kniete sich neben mich, beugte sich über meinen Oberkörper. Er warf sein Haar auf eine Seite, strich sich eine Strähne hinters Ohr und küsste meinen Bauch. Soviel Hingabe in dieser Geste, wie ich sie bei ihm noch nie erlebt hatte. Von da an machte mich die Vorstellung verrückt, er würde sich das Haar mit dieser Geste hinters Ohr streichen, um mir einen zu blasen.
Eine Frauenstimme ruft zum Mittagessen. In einem Strauch raschelt es und die beiden Jungs kriechen unter den Zweigen hervor. Sie rennen über die Wiese, heben grüßend die Hand, als sie an mir vorbeikommen, und schlüpfen zwischen den Bäumen durch. Sie überqueren das kahle Grundstück und verschwinden im Haus. Ich verlasse den verwilderten Teil, wie ich gekommen bin. Gehe durch die mittäglich stillen Dorfstraßen heim. Neben einem verfallenen Haus steht ein großer Kirschbaum, Schnee weht über die Straße.
In der Küche stelle ich einen Topf mit Wasser auf den Herd, koche Kartoffeln. Ich hole Quark aus dem Kühlschrank und setze mich an den Küchentisch. Ich stiere auf die verblichene Wachstuchdecke, wie ich es schon einmal getan habe.
Ich bat David nie um mehr. Erriet seine Wünsche, passte mich seinem Rhythmus an. Fragte ihn nie, wo er wohne, was er tat. Ob wir uns an einem anderen Ort treffen könnten. Lebte nur für den Augenblick. Bis die reifen Äpfel von den Bäumen fielen. Er nicht kam. Am verabredeten Tag einfach nicht da war. Ich suchte die ganze Obstwiese nach ihm ab, wartete bis zum Abend. Schließlich machte ich mich auf den Heimweg.
Zu Hause saß Mutter am Küchentisch und weinte. Sie weinte so still, wie ich sie noch nie hatte weinen sehen, so allein. Als ich näher trat, blickte sie nicht auf, sprach leise. Sie müsse am nächsten Tag sofort ins Krankenhaus, der Krebs sei schon fortgeschritten, habe der Arzt gesagt. Ich setzte mich ihr gegenüber, wusste nichts zu sagen, sah sie nur mit großen Augen an, hilflos. Ich schämte mich, weil ich die Schmerzen, die Mattigkeit, über die sie klagte, nicht ernst genommen hatte. Schämte mich noch mehr, weil ich an David denken musste, mit einem verletzten und seltsam leeren Gefühl. Ich starrte auf die Tischdecke.
In der Nacht träumte ich von ihm. Träumte, er hätte von der Krankheit meiner Mutter erfahren und sei darum nicht gekommen. Ich wachte auf und hatte das Gefühl, es sei so gewesen. Dieses absurde Gefühl beherrschte mich noch lange. Ich kehrte nie wieder auf die Obstwiese zurück. Versuchte auch sonst nicht, ihn aufzuspüren.
Als meine Mitschüler von der Krankheit meiner Mutter erfuhren, waren sie verunsichert. Sie wussten nichts zu sagen oder führten betont fröhliche Gespräche mit mir. Wenn sie konnten, mieden sie mich. Was sollten sie auch mit mir anfangen. Ich trug einen Makel an mir. Niemand versuchte zu mir vorzudringen und niemand hätte es gekonnt. Nur abends im Bett lag David in Gedanken an meiner Seite, hielt mich und gab mir Trost und half mir, einzuschlafen.
Wiesen
Die Welt aus einer anderen Perspektive betrachten. Aufs Wichtigste beschränkt. Ungestört. Man muss sich nur hineinlegen. Es ist angenehm kühl und feucht hier unten. Die hohen Gräser werden zu Bäumen, die sich im Wind wiegen. Durch die Pusteblumen leuchtet das Licht. Die Gierschblüten öffnen sich zu weißen Schirmen. Die reifen Samen des Sauerampfer rascheln. Über dem Himmel zieht eine einsame Wolke, ihr Rand sieht wie zerfetzte Zuckerwatte aus, die zu immer neuen Formen zerfließt.
Ein Ort zum Träumen, zum Faulenzen. Ein Ort, dem die Gefahr der Zerstörung droht. Durch mich. Bald. Ich schiebe es vor mir her. Zu grausam, das zu
Weitere Kostenlose Bücher