Benjamins Gärten (German Edition)
Abends orientierte ich mich am Stand der Sonne, um die Richtung nach Hause zu finden.
Bei einer dieser Expeditionen entdeckte ich am Rand einer Weide einen alten Obstgarten. Ich drang hinein, er schien verwildert, ein Dschungel aus hohem Gras unter ausladenden Ästen. Drang in eine geheime Welt der Schatten ein, in der Zeit keine Rolle zu spielen schien. Weit hinten entdeckte ich eine Hängematte zwischen zwei Bäumen, Gräser wuchsen ihr entgegen. In der Hängematte lag eine Gestalt. Ich pirschte mich leise näher, blieb neben einem Apfelbaum stehen. Da lag ein schlanker Junge mit langen rotblonden Haaren. Er schien zu schlafen, wirkte friedlich und entspannt, rote Locken flossen um seine Schultern. Er wirkte wie ein Stück der Natur um ihn, Gebieter über ein Reich, das er im Schlaf beherrschte. Ich trat hinter den Baumstamm, beobachtete ihn mit angehaltenem Atem. Konnte mich von seinem schönen Anblick nicht losreißen, unfähig etwas zu tun.
Irgendwann wachte er auf, reckte sich mit einem kleinen katzenartigen Gähnen, betrachtet zufrieden den Garten. Schaukelte ein wenig mit der Hängematte. Meine Sehnsucht saß wie ein Kloß in meinem Hals, ich wagte es nicht, mich bemerkbar zu machen. Schließlich drehte er den Kopf und erspähte mich hinter meinem Baum. Er schien weder überrascht noch erschrocken, winkte mich mit der Geste eines Königs, der Audienz hält, heran. Ich kämpfte mich durch das Gras bis zu ihm, blieb vor der Hängematte stehen. Er lächelte mich von unten herauf unbefangen an, ein leicht anzügliches, wissendes und sehr verführerisches Lächeln. Als ob es dessen noch bedurft hätte.
Ich blieb ein wenig verunsichert stehen. Der Kloß saß immer noch in meinem Hals, hinderte mich am Sprechen. Er schien Worte für überflüssig zu halten. Schließlich folgte ich meinem Impuls und sank einfach ins Gras, blieb knien. Das schien ihm zu gefallen. Ich schöpfte Mut und griff nach seiner Hand, die über den Rand hing. Damit gewann ich sein Herz, vielleicht auch nur seine Duldung. Er rückte ein Stück zu Seite, ich legte mich neben ihn. Unter unserem doppelten Gewicht gab die Hängematte noch mehr nach und wir rutschen unweigerlich zusammen. Ich spürte die Wärme seiner Haut, ich musste im Himmel sein.
Auf meine Frage verriet er mir seinen Namen, David, nichts sonst. Ich sagte ihm meinen, obwohl er nicht danach fragte. Dann schwiegen wir. Er verschränkte seine feingliedrige Hand in meiner. Fasziniert beobachtete ich meine Hand in der Hand eines anderen Jungen. Dies hier überstieg meine Träume mit derselben Leichtigkeit, mit der er den Kopf schüttelte, sein Haar meine Schulter berührte.
David blickte hoch in die Äste über uns. Seine grauen Augen unter blassen Wimpern. Ihm schienen viele Dinge gleichgültig, aber der Wind in den Blättern wichtig. Der Nachmittag verrann. Irgendwann schob er meine Hand in seine Hose. Er sah mich nicht an. Er genügte sich selbst, in jeder Minute.
Von diesem Tag an trafen wir uns in dem Garten. Das Gras wuchs langsam den herunterhängenden Zweigen der Bäume entgegen. Manchmal war die Hängematte feucht vom letzten Regen, glitzerten die Tropfen noch auf den Blättern. Manchmal fiel ein grüner Apfel neben uns herunter. Dann trug der erste Kirschbaum Früchte, schwarzrote, saftige Kirschen, und wir merkten zu spät, dass sie madig waren.
Wir redeten wenig miteinander, fast gar nichts. Worte hinderten ihn nur daran zu träumen, mich daran, ihn zu betrachten. Ich wusste kaum etwas über ihn. Nur einmal brachte er seine fünf Geschwister mit, eine ganze Reihe rothaariger Kinder. Ihre Haare zeigten alle Schattierungen der Farbe Rot, von kräftigem Tizianrot über Rotbraun bis karottenrot, doch keines seiner Geschwister hatte sein wundervolles rotblondes Haar. Für diesen Nachmittag teilte ich ihn gern mit ihnen.
Sonst waren wir ungestört. Ich lag an seiner Seite in der Hängematte und er ließ mich Gast in seinem Reich sein. Manchmal, an warmen Sommertagen, zog er sich aus in dem hohen Gras zwischen den Bäumen. Jede seiner Bewegungen strahlte ein in sich ruhendes Selbstbewusstsein aus. Seine rotblonden Locken und seine blasse Haut. Ich ging vor ihm in die Knie. Er war mein Engel, mein Abgott. Hätte es eine Religion gegeben, die sich auf diesen rothaarigen Jungen stützt, ich wäre ihr glühendster Anhänger geworden.
Er war zurückhaltend mit Zeichen seiner Gunst. Küsste fast nie meinen Körper, nie meine Lippen, berührte mich wenig. Meistens holte ich ihm
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