Benjamins Gärten (German Edition)
versuche herauszufinden, wo man die letzten Anrufe sehen kann. Aber als erklärter Handyverachter habe ich keine Ahnung, wie man das anstellt. Dann höre ich auch schon Schritte und lege es wieder hin. Stupse noch einmal dran, damit es wieder genauso wie vorher daliegt. Es wackelt noch ein bisschen, als Anna hereinkommt.
»Ich habe etwas für dich.« Sie gibt mir ein zusammengerolltes Blatt. Ich öffne es, die Tuscheskizze zeigt die Fabrik, die grafische Schönheit der Fenster, die bröckelnden Ecken.
»Danke.«
Anna umarmt mich: »Schade, dass es nur so kurz war.«
Ich halte sie fest, weiß nichts zu sagen. Marek kommt herein. Anna drückt mir einen Zettel in die Hand: »Ruf mal an, ja«, flüstert sie mir ins Ohr. So einfach kann das also sein.
Marek beißt hastig in sein Brötchen: »Ich glaube, wir haben alles. Wirf den Schlüssel in den Briefkasten, ja?« Ein Kuss, kein Platz mehr für Worte, die Haustür fällt ins Schloss, der Wagen springt an.
Ich rutsche vom Stuhl auf die abgezogenen rohen Dielen. Dort, wo das Sonnenlicht hinfällt, sind sie ganz warm. Ich folge mit den Augen dem Sonnenschein, der sich langsam Faser für Faser weiterbewegt, über meine Hand wandert.
Schließlich stehe ich auf und gehe durch das stille Haus, über glänzendes frisch versiegeltes Parkett, durch lichtdurchflutete weite Zimmer mit strahlend weißen Wänden, sehe sie sich mit den Besitztümern ihrer zukünftigen Eigentümer füllen. Mit Schränken, Tischen, Betten, Stühlen, vielleicht einem dunkeleichenen Monster von Schrankwand. Ich schüttle das Bild ab und fülle die hellen Räume mit wenigen schönen Stücken, Antiquitäten, einer Designercouch vor bodenlangen leichten Vorhängen, die sich im Wind vor den offenen Fenstern bewegen. Sehe Marek und mich hier wohnen, er passt perfekt in dieses Flair einer großstädtischen Altbauwohnung. Ich wirke ein bisschen verloren in den klaren, weiten Räumen. Sehe ihn kochen, umarme ihn von hinten, atme tief ein. Leben wie es uns gefällt. Ohne Konventionen, ohne dass jemand in unsere Fenster starrt.
Ich gehe die Treppe hinauf in das Erkerzimmer, das vielleicht ein Kinderzimmer war, blicke nach draußen. Sehe ein Cabrio die Einfahrt hochfahren, es hält vor dem Haus, ein fremder junger Mann darin. Ich halte mich am Fensterrahmen fest, bemühe mich das ferne Bild abzuschütteln. Ich versuche zu dem Bild der Couch zurückzukehren, zum warmen Gefühl, zu Hause zu sein, das ich damit verbinde. Doch der Marek meiner Fantasie tritt aus der Haustür, winkt kurz zu mir hinauf. Steigt in das Cabrio, ohne sich umzudrehen. Lässt sich mitnehmen, an andere Orte, zu anderen Häusern. Ich stehe am Fenster, warte auf seine Rückkehr. Ich weiß nicht, ob mein Herz groß genug dafür ist.
Ich steige höher hinauf bis ins Türmchen, blicke hinaus in den Sommerhimmel. Ein Krokodil segelt darüber, eine ganze Reihe wattiger Krokodile, die sich immer kleiner werdend in der Weite des Himmels verlieren. Ein Schaukelstuhl würde genau in das Turmzimmer passen, ein Ort zum Träumen für Benjamin, ein Ort, wo ich hinpasse.
Ich reiße mich los. Steige die Treppe hinunter, gehe ins Schlafzimmer und setzte mich auf die Matratze. Ich kann mir kein Bett hier drin vorstellen. Will nichts in diesem Raum als eine große Matratze auf den Dielen, weiße Wände, Sonnenlicht.
Ich lasse meinen Blick schweifen. Zwischen Wand und Matratze ist ein kleiner Zettel gerutscht. Ich nehme ihn. Mareks Schrift. Eine Straße, Hausnummer, Berlin. Nichts weiter. Mir fällt der Handyanruf wieder ein. Stimmte das mit dem Haus am Meer überhaupt nicht?
Fenster
Neben dem verwaisten Bahnhof steht ein alter Lagerschuppen, durch die Rampe wächst eine Birke. Holunder, mit weißen Dolden behangen, drängt sich um den Schuppen, geht neben den toten Gleisen in wucherndes Gestrüpp über. Zwischen dem Schotter blühen Lupinen.
Mit einem sanften Ruck setzt sich der Zug wieder in Bewegung, gleitet durch die Landschaft. Häuser huschen vorbei. Der Zug hält am nächsten Bahnhof. Vernagelte Fenster, verrostete gusseiserne Träger, Graffiti an den Wänden.
Endlich kommen wir an. An einem Kiosk kaufe ich einen Stadtplan. Ich breite ihn auf der Bank aus, fahre mit dem Finger über das Gewirr von Linien. Beim Zusammenfalten verursache ich einen großen Riss.
In der S-Bahn setzte ich mich einem alten Mann gegenüber und sage »Guten Tag«. Noch während ich spreche, weiß ich, dass das blöd ist. Der Mann grüßt nicht zurück, beachtet mich
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