Benjamins Gärten (German Edition)
stark sein, weiter funktionieren. Damit wenigstens einer von uns bei Vernunft blieb. Meistens konnte ich nicht weinen, obwohl ich es wollte.
Ich höre Schritte hinter mir, zwei warme Hände in meinem Nacken.
»Hier, ja?«, fragt er leise.
»Er hatte 1,7 Promille, es gab keine Bremsspur und es war kein anderes Auto im Spiel. Er hatte am Tag getrunken, mehr als gewöhnlich. Abends lag er auf dem Sofa, wirkte eigenartig ruhig. Fragte mich, ob ich Tütensuppe wollte. Ich fuhr ihn an, dass ich das Zeug nicht mehr sehen könnte. Dann ging ich ins Bett. Am nächsten Morgen wurde ich von der Polizei geweckt.«
»Bist du wütend auf ihn?«
»Ich bin ohne ihn besser klargekommen.« Trotziger, nüchterner Satz. Ich weiß, dass er keine Antwort ist, aber ich halte mich an diesem Satz fest. Halte mich daran fest, um nicht in dem Gefühl zu ertrinken, allein gelassen worden zu sein.
»Eigentlich hat er mich schon eher im Stich gelassen, schon als sie noch lebte. Schon als ich alleine ins Krankenhaus fahren musste. Allein an ihrem Bett saß, ein sechzehnjähriger Junge.« Verlassener konnte ich mich vielleicht gar nicht fühlen. Und so alt.
Mareks Hände bohren sich in meine Schultern, halten mich. Schließlich zieht er mich hoch, umarmt mich, mitten auf der Landstraße. Führt mich weg.
Krokodilwolken
Di e Abenddämm erung ist gerade verblasst, es muss gegen zehn sein. Meine nackten Füße schauen unter der Decke hervor. Durch die weit geöffneten Fenster weht kaum ein Lüftchen herein. Ich schiebe die dünne Decke von meinem Oberkörper, liege dann ganz ruhig. Marek dreht sich zu mir herum, legt seine Hand auf meine Brust. Seine Hand ist kühl auf meiner verschwitzten Haut, riecht nach Seife. Ich sauge seinen Geruch auf, frisch und verführerisch.
Wir sind den ganzen Nachmittag mit Anna durch die Gegend gefahren. Sie skizzierte auf einem großen Block knorrige Bäume, verfallene Scheunen, einen sich windenden Bachlauf. Wir blieben im Cadillac sitzen oder lagerten an Feldrainen, plünderten Mareks Picknickkorb.
Auf dem Rückweg fuhren wir durch die von Kastanienbäumen gesäumte Allee, die Abendsonne tauchte sie in warmes Licht, und Anna wollte die alten Bäume skizzieren. Marek fuhr wortlos weiter.
Jetzt schaut er mich an: »Du musst sehr einsam gewesen sein.« Leise, warmherzige Feststellung. Ich antworte nicht. Ja, ich war sehr einsam. Aber ich fand es nicht schlimm, allein zu sein. Ich bin klargekommen. Ich hatte mich, ich hatte meine Ruhe. Das Alleinsein gab mir Zeit zum Luft holen, Zeit zum Nachdenken. Da war niemand mehr, der mich belastete.
Ich hatte mein Haus. Das Einzige, was mir geblieben war, sich nicht verändert hatte. Nicht zusammengestürzt war, wie der Rest meiner vorher so sicher scheinenden Welt. Ein Hort, ein Zuhause, Sicherheit. Dinge voller Erinnerungen, die ich berühren konnte, die um mich waren. Ich schloss das Elternschlafzimmer zu, das schon längere Zeit nicht benutzt worden war, Staub angesetzt hatte.
»Es war ein langer einsamer Sommer. Dann kamst du.« Brachtest weite Welt mit, neue Perspektiven. Öffnetest meinen Horizont. Gabst mir Zuwendung, Aufmerksamkeit, Freude. Durchbrachst meine Einsamkeit, nur um sie mich dann jedes Mal um so mehr spüren zu lassen.
Ich würde dir gern sagen, was du mir bedeutest, wenn ich wüsste, wie. Wenn ich keine Angst hätte. Wahrscheinlich weißt du es auch. Ich suche immer noch nach meiner Bedeutung in deinem Leben. Deine kühlen, weichen Lippen suchen meinen Mund. Du schiebst die Decke von dir. Fahles Dämmerlicht zeichnet die Konturen deines Körpers nach. Die Nacht ist warm, kühlt nicht ab. Ich drehe mich herum, ziehe die dünne Decke um meinen nackten Körper. Im Einschlafen höre ich, wie Marek das Zimmer verlässt.
Ich träume von einem schönen, namenlosen Männerkörper, dämmere im Halbschlaf, versuche das Bild festzuhalten. Ich liege auf dem Bauch, zwischen meinen Schulterblättern sammelt sich ein kleines Rinnsal. Ich drehe den Kopf zur anderen Seite. Schiebe die Hand unter meinen Bauch, streichle mich langsam, fast träge.
Plötzlich spüre ich seine Anwesenheit. Kein Geräusch, nur seine Nähe. Ich weiß nicht, wie lange er schon da ist. Liege ruhig. Ich höre seine nackten Füße über das Parkett tapsen. Spüre ihn ganz nah. Er küsst meinen schweißnassen Rücken, meinen Nacken, legt sich auf mich. Zieht meinen Arm unter meinem Körper hervor, führt meine Handgelenke nach oben und hält sie fest. Er schiebt meine Beine auseinander,
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