Benjamins Gärten (German Edition)
nicht. Bei jemand Jüngerem wäre mir das nicht passiert. Ältere Leute zu grüßen, höflich zu sein, ist mir zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen. Ich komme mir dumm vor. Wie ein Landei.
Ich schaue aus dem Fenster. Das Licht des späten Nachmittags bricht sich in dem in die Scheibe gekratzten Schriftzug, bildet ein glitzerndes Muster. Ich sehe geschwärzte, heruntergekommene Backsteinbauten, schmutzige Hinteransichten, Graffitis. In ein altes Industriegebäude sind schicke Büros und Studios eingezogen.
Ich versäume fast meine Station, springe aus der Bahn, gehe hinunter auf die Straße. Ich halte nach Straßennamen Ausschau, rufe mir den Stadtplan ins Gedächtnis. Ich gehe nach links, biege in eine ruhige Straße ein. Zwei junge Männer kommen mir entgegen. Aufgestylte Haare in blond und schwarz, bedruckte T-Shirts, über die Hüfte nach hinten geschobene Umhängetaschen. Unter ihren Shirts zeichnen sich antrainierte Muskeln ab. Sie beachten mich nicht. Ich muss unsichtbar sein. Ich betrachte mich in der Scheibe eines leer stehenden Ladens. Mein T-Shirt ist ausgeleiert und verblichen, meine Muskeln kommen nur vom Schwimmen und Holzhacken, der Stoff spannt sich nicht über meiner Brust. Meine Haare könnten ein Styling vertragen.
Ich gehe weiter, biege in die Straße ein, die auf dem Zettel stand. Gepflegte Gründerzeithäuser rechts und links, nichts Besonderes. Ich finde das Haus. Es unterscheidet sich nicht von den anderen. Mir fällt nur auf, dass es noch seine alten Fenster hat, sorgfältig gestrichen. Ansonsten ist es zu glatt renoviert. Auf den Klingeln stehen fast ein Dutzend Namen. Keiner sagt mir etwas. Natürlich nicht. Was habe ich erwartet.
Ich lungere eine Weile vor dem Haus herum, niemand achtet auf mich. Dann gehe ich langsam ein Stück die Straße hinunter, kehre um, warte auf der anderen Straßenseite. Ein Transporter hält vor dem Haus. Auf der Seite des Fahrzeugs steht 'Restaurationen aller Art'. Ein großer Mann mit braunen Rastalocken steigt aus und öffnet das Tor des Hauses. Ich betrachte ihn. Er hat seine langen Rastalocken im Nacken zusammengebunden und Holzpflöcke in den Ohren. Steht Marek auf solche Typen?
Der Mann fährt das Auto hinein. Ich überquere die Straße, folge ihm. Der Transporter hält in dem kleinen Hinterhof. Mülltonnen, Sträucher und an der Rückseite ein Werkstattgebäude. Der Typ steigt aus und sieht mich verwundert an, ignoriert mich dann aber. Ich weiß nicht, ob ich etwas sagen oder tun soll. Er öffnet die Ladeklappe, trägt ein rostiges schmiedeeisernes Tor in die Werkstatt. Dann schließt er wieder ab, wirft noch einen Blick auf mich und steigt ins Auto. Ich warte, bis er hinausgefahren ist, das Tor geschlossen hat. Dann gehe ich zu dem Werkstattgebäude und sehe durch ein staubiges Fenster. Im Hintergrund stehen alte Türen, daneben Tore und Zaunfelder, ein verwitterter marmorner Trog steht mitten im Raum. Auf der Werkbank am Fenster liegt eine große Wetterfahne.
Ich presse meine Nase gegen die Scheibe. Ich erkenne die Jahreszahl und die verschnörkelte Form. Kein Zweifel, Marek hatte mir die Wetterfahne, noch ganz verbogen und verrostet, auf dem Dachboden der Villa gezeigt. Und mir gesagt, dass er sie instand setzen lassen wollte. Was nicht ausschließt, dass er mit dem Restaurator schläft. Es aber doch eher unwahrscheinlich macht.
Ich komme mir idiotisch vor. Eilig überquere ich den Hof und gehe wieder raus auf die Straße. Ich wende mich nach rechts, ohne darauf zu achten, aus welcher Richtung ich gekommen bin. Die Hitze ist zwischen den Häusern gefangen, wird von ihnen zurückgeworfen. Ich fühle mich müde, obwohl ich gar nicht weit gelaufen bin. Am Ende der Straße sehe ich Bäume. Ich wende mich in die Richtung und erreiche einen Park. Erleichtert tauche ich zwischen den Bäumen ein, genieße die angenehmere Luft. Vor mir öffnet sich eine Wiese, sie ist voller Leute. Grillende türkische Familien, Gruppen Jugendlicher, Pärchen. Ich trete auf den Weg, zwei Jogger laufen an mir vorbei, eine Radfahrerin streift mich fast. Ich gehe zur Wiese und ziehe meine staubigen Sandalen aus, trete aufs Gras. Es fühlt sich vertrocknet und hart an, ich gehe weiter, muss nach unten schauen, um Hundehaufen und Scherben auszuweichen.
Auf einer Decke sitzt eine Gruppe junger Männer. Ich registriere, dass sie schwul sind, vielleicht wegen der Art, wie sie gestylt sind oder wie sie dicht beieinandersitzen. Sie reden und lachen laut. Ich wünsche mir,
Weitere Kostenlose Bücher