Benkau Jennifer
sagen.“
Blut rauschte in Samuels Ohren. Eine Botschaft von Moira. Nie war er dem Ende des Fluchs derart nah gewesen. Warm glomm Hoffnung in ihm auf. „Was hat sie noch gesagt?“
„He?“ Der Junge verkniff die Lippen.
„Das Waldmädchen“, drängte Samuel. „Was hat es noch gesagt?“
„Was für ’n Mädchen?“ Timmy stemmte die Fäuste in die Seiten. „Weißt du, Sir, ich wusste sofort, dass was mit dir nicht stimmt. Du wolltest nichts trinken, damit ich deine Fingerabdrücke nicht vom Glas nehmen kann, hab ich recht?“
Samuel atmete durch. Es war vorbei. Der Kontakt zu Moira war wieder abgerissen, der Junge hatte seinen Auftrag bereits vergessen. Nur langsam kam Samuels Puls zur Ruhe. Mit einem Mal fühlte er sich müde.
„Du wirst mal ein toller Detektiv, Timmy“, sagte er und trat den Kickstarter.
Samuel fragte sich, ob Timmy tatsächlich Detektiv geworden war. Inzwischen musste der Bengel älter sein, als er selbst aussah.
Er hatte die Worte des Kindes über die Jahre fast vergessen, schließlich hatten sie ihm nie weiterhelfen können. Ebenso wenig wie die Sagen der Drachen. Ein paar Jahre war er verzweifelt ihren Schatten hinterhergejagt; den Schemen der Bleistiftskizzen, die auf dem Papier immer schwächer wurden. Er hatte dazugehörige Kunstdrucke gefunden, Replikationen der Gemälde. Doch auch sie waren nichts als Schikanen Moiras gewesen. Das Schicksal malte ihm Zeichen an den Strand, auf dass er sich kilometerweit durch den brennend heißen Sand kämpfte. Doch immerzu wurden diese Hinweise von Wellen verwaschen, ehe er sie erreichte. Die Akzeptanz der Enttäuschung hatte mit der Zeit jeglichen Lichtblick unter einer Schicht aus Verdrängen begraben. Er hatte es aufgegeben. Wer nichts erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden.
Doch heute, als Helena sich an seinen Körper geschmiegt hatte, war er von einer noch blinden Erinnerung durchflutet worden. Er gedachte wieder dieses warmen Glühens in seiner Brust, das er damals empfunden hatte. Das Gefühl, einen Schritt weitergelangt zu sein. Vielleicht würde er tatsächlich einmal einer Welle zuvorkommen.
Ebendies ängstigte ihn. Wenn Helena Hoffnung war, dann schwebte sie in Gefahr. Das Schicksal machte keine Geschenke. Nicht ihm.
Mit weniger Bitterkeit, aber mehr zäher Sorge im Hals als sonst, griff er nach der Beretta, rammte das Magazin hinein und lud durch. Die Gedanken an Helena ließ er draußen, als er das kühle, fensterlose Bad betrat. Die Gruft, in der er seine Nächte verbrachte. Er zog sich aus, warf die Kleidung in den Flur und schloss hinter sich ab. Wie nahezu jeden Abend knipste er das Licht aus und ließ sich in die Badewanne sinken. Kalte, harte Keramik empfing ihn. Sicher, vertraut und widerwärtig, jeden Tag aufs Neue.
Er wartete nicht lange, hob die Beretta an, legte sich den Lauf an die Schläfe und knipste sein eigenes Licht aus.
Den Schuss hörte er noch. Weh tat es nicht. Aber die Sache mit dem Licht am Ende des Tunnels war eine Lüge.
10
Denn mein Glück bestand tatsächlich
aus dem gleichen Geheimnis wie das Glück der Träume,
es bestand aus der Freiheit,
alles irgend Erdenkliche gleichzeitig zu erleben,
Außen und Innen spielend zu vertauschen,
Zeit und Raum wie Kulissen zu verschieben .
Hermann Hesse
S teffis Handy war ausgeschaltet, Helena fand den Parkplatz jedoch auch allein und zu ihrem Glück kamen mit ihr noch weitere anachronistisch gewandete Besucher an, denen sie folgen konnte. Sogar an eine Taschenlampe hatte sie gedacht, wenngleich die jungen Männer, die vor ihr gingen, sich mehr oder weniger unauffällig darüber lustig machten. Behaglich war ihr nicht bei dem Gedanken, drei fremden Kerlen über ein dunkles Feld in den Nebel zu folgen, zumal einer sie extrem unverhohlen anstarrte. Aber für ernsthafte Sorgen war sie viel zu aufgebracht.
Zu Hause hatte sie sich aus Verunsicherung zunächst zwei Fingernägel abgekaut. Als es ihr aufgefallen war, hatte sie wutentbrannt alles stehen und liegen gelassen und sich umgezogen. Sie hatte den Hund gefüttert und war losgefahren.
Feuchte Kälte kroch unter die Säume ihrer Gewandung. Der schlüpfrige Boden begleitete jeden Schritt mit einem Schmatzen. Im Stillen verwünschte sie das Wetter, da dieses jedoch am wenigsten Schuld an ihrer Laune trug, zog sie ihr Handy aus der Tasche und wählte Samuels Nummer, um ihrer Wut an richtiger Stelle Luft zu machen. Doch unter seinem Anschluss meldete sich nur die Mailbox.
„Ich wollte dir noch
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