Benkau Jennifer
bedeuten, dass er die Emotionen zurückgewinnen musste, die der Teufel ihm genommen hatte. Es war die Einfachheit der Metaphorik. Demut vor dem Offensichtlichen öffnete diese Tür. Ganz so, wie er es von Moira hatte erwarten müssen. Oh, er war so ein Narr. Jahrelang war er den wildesten Theorien gefolgt. Etliche Geschichten und Sagen über den Phoenix konnten ihm nicht helfen, bis ihm endlich dieses Buch mit dem Bild in die Hände gefallen war und ihn auf die erste heiße Spur geführt hatte. Auf den Gedanken, dass er nicht dem Feuervogel folgen musste, sondern einem der beiden Drachen, die in ihm steckten. Und deren Pfade breiteten sich so denkbar offen vor ihm aus. Er musste sich mit dem vereinen, was man ihm genommen hatte, mit dem Drachen. Aber was nutzte es ihm, wenn dies nicht möglich war?
So oft war sein Herz Sieger über den Verstand gewesen. Jedes Mal hatte es in einer Tragödie geendet, statt im Ende des Fluchs. Nun glaubte er, die Lösung durch eine gläserne Tür zu erkennen, doch sie war verschlossen, und ihm fehlte der verdammte Schlüssel.
Er konnte nicht wütend sein, egal wie viel Grund er haben mochte und wie sehr er es wollte.
„Natürlich gab es auch andere Stimmen“, riss Thomzen ihn aus seinen Grübeleien. „Es gibt eine zweite Theorie, hauptsächlich von den Druidinnen verbreitet, deren Stellenwert hoch war. Denen zufolge ist der Drachenkampf die Vereinigung von Mann und Frau. Der rote Drache steht in diesem Glauben als weiblich. Rot wie das mit dem Mond einsetzende Blut.“
„Macht Sinn“, überlegte Samuel laut. „Weiß wie … nun, wir wissen es.“
Thomzen schmunzelte. „Können’Se so sehen. Und auch hier ist es das Gleiche. Weiß, der Mann, scheint der Stärkere. Aber letztlich ist es die Frau, die neues Leben schenkt.“ Er hob das Baby vom Boden auf, setzte es sich auf den Schoß und wischte ihm mit der Hand den Speichel von den rosigen Lippen. „Sehen’Se, Mallen, Sie können im Leben erreichen, was’Se wollen. Die ersten Schritte Ihres Kindes zeigen Ihnen, wie unwichtig’Se selbst sind. Es geht immer nur um unsere Nachfahren. Die Kinder machen uns unsterblich. Unsterblich wie die Drachen.“ Er lächelte sein Baby glücklich an.
„Örre-örre“, machte es, als wollte es die Worte bekräftigen, und Samuel kroch ein Elend durch die Knochen, wie es kein Tod und keine Wiedergeburt auszulösen vermochten.
Als er wenig später nach draußen trat, bemerkte er im Flur eine Bewegung; einen daherhuschenden Schatten, doch er beachtete ihn nicht. Er fühlte sich erfüllt von Informationen, die ihn fast erdrückten und ihm doch nicht weiterhalfen. Schwerfällig stieg er auf die geliehene Honda.
„Samuel?“
Er fuhr zusammen. Die helle Stimme sprach seinen Namen Deutsch aus. Langsam drehte er sich um. Vor der Haustür stand der Junge, Timmy. Er hielt einen Stift und einen kleinen Notizblock in der Hand und trug einen viel zu großen Deerstalker-Hut auf dem blonden Schopf.
„Warte!“, rief der Junge und eilte ihm nach. „Ich muss dir etwas sagen. Du hast Vater nach den Drachen gefragt.“
Amüsiert zog Samuel eine Braue hoch. „Hast du gelauscht, Sherlock Holmes?“
„Ja.“ Timmy nickte begeistert. „Das musste ich doch. Sie sagte, ich muss meine Botschaft genau dem Richtigen bringen. Dem, der nach den Drachen fragt.“
„Bitte?“ Ein kalter Schauder lief Samuels Rücken hinab. „Wer hat dir das gesagt?“
„Na, das Waldmädchen. Es sagte, dass du spät dran bist, aber jetzt hast du den richtigen Weg fast gefunden.“
„Moira? Meinst du Moira? Hast du …“ Ihm versagte die Stimme. Er musste an sich halten, um das Kind nicht zu schütteln, damit es seine Informationen herausgab. Also hatte er recht gehabt. Er war auf dem richtigen Weg.
Der Kleine zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, wie sie heißt. Ich soll dir nur diese Sache sagen, wenn du kommst und nach den Drachen fragst. Es stimmt. Der Phoenix ist der Drache. Der weiße und der rote Drache müssen zusammen sein. Und ich soll dir noch was sagen, Samuel, aber nur dir und ganz leise. So leise, dass es keiner hört.“
Samuel beugte sich hinab und der Junge ließ den Block fallen und bildete mit schmutzigen, kleinen Händen einen Trichter um sein Ohr. Dann flüsterte er: „Der Teufel darf nicht wissen, dass ich dir das verrate, sonst wird er wütend. Aber das Waldmädchen meint, dass du Hilfe brauchst. Du kannst es nicht alleine schaffen. Merk dir das. Nicht alleine. Mehr darf ich nicht
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