Benkau Jennifer
um.
„Was meinen Sie?“, hörte er Helena fragen.
„Dass ein so guter Mann muss haben eine so dunkle Seite, die kämpft gegen ihn. Und verlangt ein großes Opfer.“
Das Schweigen hielt sich lange, ehe Helena leise sagte: „Dunkle Seite? Ich verstehe nicht. Was für ein Opfer meinen Sie?“
„Möchtest du noch einen Tee vielleicht? Ich rufe nach Alexandra, sie kocht weiteren Tee für uns, wir …“
„Was wollten Sie mir sagen? Bitte sprechen Sie schon!“ Helenas Stimme klang zittrig, wie das Licht einer absterbenden Flamme.
Samuel eilte rasch an ihre Seite, legte den Arm um ihre Schultern. Sie war verwirrt, doch er wusste zu gut, dass Lady Claire nichts weiter sagen würde. Sie fabulierte bereits wieder von ihren Tagen im englischen Hochadel. Er führte Helena hinaus, in der Hoffnung, ein wenig von dem Fall abbremsen zu können, der vor ihr lag. Möglichst, bevor sie begriff, wie tief sie wirklich fallen würde.
20
Wer nie im Zorn erglühte,
kennt auch die Liebe nicht .
Ernst Moritz Arndt
„D u wolltest mir das bestimmt gerade sagen, oder? Ach nein, warte. Es ist alles nicht so, wie es aussieht, und du kannst es mir erklären, richtig?“
Helena erkannte ihre eigene Stimme kaum wieder, derartig vertrocknet an sprödem Zynismus. Sie drückte sich in den Sitz und starrte auf das Armaturenbrett. Cat quetschte ihren Kopf zwischen den Sitzen nach vorne und leckte tröstlich und mit fragendem Winseln Helenas Hände.
„Ist schon gut, Dicke“, versuchte sie Cat halbherzig zu beruhigen. Jetzt log sie schon den Hund an. Nichts war gut, gar nichts.
Nicht einmal Samuel.
Denn gut gab es nicht mehr.
Samuel stand neben ihr in der geöffneten Beifahrertür, sodass sie diese nicht zuschlagen konnte, dabei sehnte sie sich nach Glas und kaltem Metall zwischen ihm und ihr. Er trug die Maske jener Gleichgültigkeit, hinter der er sich vermutlich all die vielen Jahre versteckt hatte. Hinter der er sein Wesen in Sicherheit gebracht und über die Zeit gerettet hatte. Helena gelang diese Lethargie nicht im Ansatz.
„Sag es schon!“, stieß sie hervor, ehe ihre Stimme in dem Weinen ertrinken würde, das sie mühsam unterdrückte. „Sag, dass du mich nicht aushorchst! Sag, dass du mich nicht angelogen hast.“
Denn genau das hatte Lady Claire ihr offenbart. Das, was hinter Helena herjagte, war ein Teil Samuels. Georg und Samuel. Sie waren eins. Samuel fütterte das Monster mit Informationen über sie.
Sie hatte es auf das Haus geschoben, auf Geister, aber das war es nicht. Das Runenzeichen für ‚Jäger‘ glich dem für ‚Dämon‘ fast haargenau, bis auf einen einzigen Knochen, der in eine andere Richtung wies. Sie hatte nur gesehen, was sie sehen wollte und sich erneut von ihrer Unfähigkeit, die Magie zu nutzen, schlagen lassen.
Der Dämon hatte sie gefunden, da er von Samuel wusste, wo sie sich aufhielt. Nach ihrer ersten Begegnung auf der Brücke waren es nur vage Schatten gewesen, die ziellos herumschlichen, nach ihr Ausschau haltend. Der wahre Terror hatte begonnen, nachdem er erfuhr, wo sie wohnte. Mit jedem Schritt, dem sie Samuel emotional näherkam, war der Dämon sie offensiver angegangen. Jetzt, da die Fronten geklärt waren, da sie wussten, dass Helena die Macht besaß, den Dämon zu rufen, gab es nunmehr eine logische Konsequenz, was er tun würde, um ebendies zu verhindern.
„Sag, dass du mich nicht aushorchst!“, wiederholte Helena, diesmal schrie sie die Worte gegen die Handflächen, die sie vor ihr Gesicht presste. „Lüg!“
Samuel kniete neben ihr nieder. „Das kann ich nicht.“
Ein unkontrolliertes Zittern entriss ihr die Kontrolle über ihren Körper. „Ich glaub das nicht. Ich kann das nicht glauben. Bitte nicht.“
Die Erinnerung, dass der eine Teil einen Mord begangen und sie eine ganze Nacht lang durch den Wald getrieben hatte, woraufhin der zweite Teil desselben Mannes ihr nicht nur zu Hilfe gekommen war, sondern gleich darauf mit ihr geschlafen hatte, war eine der Horrorvisionen, die salvenähnlich durch ihren Kopf schossen.
„Helena“, sagte er rau, und als sie ihn ansah, brannte der Schmerz in seinen Augen in ihrer Brust, als hätte er ihr Herz mit einem Fußtritt direkt in die Hölle befördert. „Ich kann dir nicht sagen, was du hören willst, weil es nicht stimmt. Ich habe dich ausgehorcht, als Lakai des Dämons. Aber glaub mir eines: Ich schwöre bei Gott, dass ich es nicht wusste. Hätte ich es geahnt, wäre ich dort geblieben, in der Hölle. Sie kann kaum
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