Benkau Jennifer
Angst.
Erst jetzt erkannte sie, wie wenig Schuld Samuel an den Taten des Dämons trug. Ihre Seele war komplett und unversehrt, dennoch gelang es einem einzigen Gefühl, der Angst, ihre Handlungen zu bestimmen. Wie konnte sie Samuel einen Vorwurf machen, was die von ihm abgespaltenen Emotionen getan hatten?
Sie erreichte Marburg erst am Abend und drehte zunächst eine ausführliche Runde mit Cat, damit die feuchte Herbstluft ihren Kopf kühlen konnte.
Evelyn wohnte in einem Mehrparteienhaus voller Studenten, in dem hinter jeder Wohnungstür ein anderer Musikstil oder laut aufgedrehte Fernsehprogramme erklangen, die sich lediglich den Krach betreffend ähnlich waren.
Evelyn wartete bereits. „Bei allen Göttinnen und deren Mannsbildern, du siehst beschissen aus!“, begrüßte sie Helena vorwurfsvoll, als wäre es ein Verbrechen, mit rot geränderten Augen vor ihrer Tür aufzutauchen.
Wummernde Bässe dröhnten auch aus ihrer Wohnung, vermutlich nur, damit sie den Lärm der anderen Mieter ertragen konnte. Vanilleduftkerzen übertünchten unzureichend, dass in dieser Wohnung gerne mal obskure Kräuter geraucht wurden, von denen Evelyn vermutlich selbst nicht wusste, um was genau es sich handelte.
„Wer hat dich verlassen und was hat es gekostet?“
Ungewollt musste Helena grinsen. „Moment. Hilf mir mal. Wer hat wem damals geholfen, deine Mutter zu überreden, eine Bürgschaft für diesen durchgeknallten Künstler aus Kolumbien zu unterschreiben? Wie hieß der doch gleich? Paolo? Pablo?“
„Papperlapapp.“ Evelyn winkte ab und streichelte Cat, während Helena den schmalen, in dunklem Purpur gestrichenen Flur betrat und ihren Koffer abstellte. „Die Sache mit Pedro war vielleicht zeitlich begrenzt und teuer, dafür jeden Cent wert.“
„Bestimmt.“ Evelyns Mutter sah das vermutlich anders, denn leider war Pedro ebenso schnell wieder nach Südamerika verschwunden, wie er ihr Geld verprasst hatte. Doch das band Helena ihrer Cousine, deren Blick düster wurde, nicht erneut auf die Nase.
„Ich hab Schwierigkeiten“, rückte sie stattdessen unvermittelt mit der Wahrheit heraus. „Immense Schwierigkeiten.“
Evelyn führte sie ins Wohnzimmer und regulierte die Lautstärke der Musik so weit, dass Beethovens Mondscheinsonate aus der unteren Etage zwischen den Trance Beats hindurchklang. Eine psychedelische Mischung und damit der ideale Background für die Geschichte über Flüche, das Schicksal, den Teufel und seine Dämonen, die Helena nun erzählte. Um sprechen zu können, grub sie die Finger Halt suchend in das Schaffell, auf dem sie am Boden Platz genommen hatte. Evelyns blaue Augen wurden mit jedem Satz größer und runder, ihre fein gezupften Brauen wanderten immer höher. Schließlich begann sie, mit den Fingern ihre Haare zu kämmen und diese in hektischen Bewegungen strähnenweise glatt zu ziehen, eine Angewohnheit, die Helena seit der gemeinsam verbrachten Kindheit vertraut war.
Als Helena geendet hatte, stieß Evelyn ein atemloses „Bei Mutter Erde!“ aus. In ihrem Kopf arbeitete es sichtlich auf Hochtouren. Als Hexe glaubte Evelyn an sehr viel mehr als der Durchschnittsmensch, aber dass sie ihr die Geschichte ohne ein Wort des Zweifels abnahm, wunderte Helena dann doch.
„Was willst du nun tun? Warte, sag nichts!“ Evelyn sprang auf die Füße und eilte zum Sideboard, aus dem sie ihren in ein Seidentuch gehüllten Stapel abgegriffener Tarot-Karten nahm. „Ich lege dir erst die Karten, dann sehen wir weiter. Konzentriere dich auf deine Fragestellung.“
Helena gelang es kaum, sich auf eine einzelne Frage zu konzentrieren, zu viele kreiselten in ihrem Kopf wie Laubblätter in einer Windhose. Der Druck um sie herum nahm zu.
„Nur ein einfaches Kreuz?“, wunderte sie sich, nachdem Evelyn die Karten gemischt, mit geschlossenen Augen vier hinausgezogen und diese auf dem Boden ausgelegt hatte.
„Weniger Karten bedeuten weniger Möglichkeiten der Fehlinterpretation. Lass mal sehen, was wir da haben. Die Vergangenheit. Ah … der Teufel.“
„War ja klar.“
„In der Tat.“ Evelyn ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. „Die Karte steht für eine gewaltige Unsicherheit, einen Kampf mit dem eigenen Inneren. Wie treffend. Aber schau, die nächste Karte steht für dich und zeigt die Liebenden. Diese Karte spricht nicht nur von Liebe, sondern auch von einer aus tiefstem Herzen getroffenen Entscheidung, die über alle Zweifel erhaben ist.“
„Liege ich richtig, wenn ich vermute, dass
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