Bennys Blutgericht
Gretas jüngster. Sie mochte den schlaksigen Jungen, der sich immer etwas unsicher gab und dies auch durch seine Bewegungen unterstrich. Das allerdings war nur Tarnung, denn Benny wußte genau, was er wollte. Die sechzigjährige Frau konnte mit Fug und Recht behaupten, daß Benny ihr bester Kunde war. Sie verkaufte nicht nur Puppen, sie war auch in der Lage, sie selbst herzustellen, und genau darauf hatte es Benny abgesehen gehabt.
»Greta…?«
Sie lachte. »Ja, mein Junge, ich bin hier.«
»Gut. Darf ich die Tür abschließen?«
»Meinetwegen. Aber warum?«
»Ich will meine Freunde heute abholen. Da möchte ich von keinem anderen Kunden gestört werden.«
»Tu, was du nicht lassen kannst.«
»Das Geld habe ich auch dabei.« Er ging zur Tür und drehte den Schlüssel zweimal.
»Als ob ich das nicht wüßte, Benny.« Greta erhob sich von ihrem Stuhl. Das Holz knarrte dabei etwas, und Greta stöhnte leise vor sich hin. Sie war eine schlanke Frau mit grauen, kurzgeschnittenen Haaren. Sie trug braunes Twinset, und um ihren Hals hing eine helle Perlenkette. Sie bewegte sich mit kleinen Schritten, wobei sie das rechte Bein etwas nachzog. Eine alte Verletzung, die einfach nicht heilen wollte.
Ihr Gesicht wirkte noch jugendlich. Keine Falten hatten sich in die Haut gegraben, und die Wangen, leicht aufgebläht, erinnerten auch an die von Puppen. An der Stirn war das Haar akkurat zu einem Pony geschnitten. Die Lippen waren hellrot geschminkt. Greta lächelte, als sie ihrem jungen Kunden entgegenschritt und ihm beide Hände auf die Schulter legte.
»Schön, dich zu sehen.«
»Na ja, es wurde auch Zeit.«
Greta schüttelte den Kopf. »Was ist denn schon Zeit?« fragte sie mit leiser Stimme. »Ich habe mich daran gewöhnt, sie zu vergessen. Schau dich um, mein Kleiner. Alles, was du hier zu sehen bekommst, ist irgendwie zeitlos. Die Puppen sind ein kleines Wunder. Jede ist ein Wunder für sich. Alles Handarbeit. Gefertigt von wahren Künstlern, die fast alle schon verstorben sind, aber durch ihr Puppen ewig leben werden. Ich kenne mich aus, denn ich selbst habe mich lange damit beschäftigt.« Sie lachte Benny leise an. »Aber das weißt du ja, mein Junge, sonst hättest du den Weg nicht zu mir gefunden.«
»Sind sie fertig, Greta?«
Die Frau runzelte die Stirn. »Ja, sie sind fertig. Was ich versprochen habe, das halte ich auch.«
Plötzlich wurde Benny nervös. »Bitte, Greta, und wo kann ich sie sehen?«
»In meiner kleinen Werkstatt.«
»Dann laß uns hineingehen.«
»Lieber Himmel, du hast es eilig.«
»Ja, das habe ich auch«, sagte er schnell und strich sein Haar zurück. »Ich habe lange genug gewartet, und jetzt will ich nicht mehr. Es war mein Traum, und er hat sich erfüllt. Ich liebe sie nun mal, meine Puppen.«
»Sie sind wunderschön. Sie gleichen den Zeichnungen, die du mir gegeben hast, aufs Haar.«
»So hat es auch sein müssen.«
»Dann komm mit. Ich habe es nicht gern, wenn meine Kunden zu lange warten müssen.«
»Danke.«
Benny folgte der Frau, die auf eine Tür zuging. Sie war an der Seite in der Wand eingelassen worden. Man mußte schon genau hinschauen, um sie überhaupt sehen zu können, da sie sich kaum von ihrer Umgebung abhob.
Greta stieß sie auf und übertrat ohne zu Zögern die Schwelle. Sie schaute nicht einmal zurück auf den Kunden, der hinter ihr blieb und seine Hände zuckend bewegte. Manchmal schloß er sie zu Fäusten, dann streckte er sie wieder oder rieb sie gegeneinander. Ruhig konnte er nicht sein. Er begann auch zu schwitzen.
»Wie geht es deinem Vater, Benny?«
»Nichtgut.«
»Oh, das tut mir leid.«
»Man kann nichts machen, sagen die Ärzte.«
»Und wie siehst du das?«
»Ähnlich.«
Er hatte die kurzen Antworten nur sehr gepreßt ausgesprochen, und Greta fragte auch nicht mehr weiter. Sie war inzwischen in ihre kleine Werkstatt hineingegangen, in der es nach Holz und Leim roch. Es gab Drehbänke unterschiedlicher Größe. Hinzu kamen die Hobel und Schnitzmesser, die Feilen und die Raspeln. Die Kleidungsstücke, der Leim, die verschiedenen Farben und Lacke und das gute abgehangene und nicht zu trockene Holz in der Ecke. Licht fiel durch zwei schmale Fenster. Es war nicht hell genug, um arbeiten zu können, deshalb schaltete Greta immer die beiden Leuchtstoffröhren unter der Decke ein, wie auch jetzt.
Sie blieb im hellen Licht stehen und hatte sich zu ihrem jungen Kunden hin umgewandt. Sie lächelte ihn an. »Bist du schon gespannt darauf,
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