Benson, Amber - Jenseits GmbH 1 - Lieber Tod als Teufel
Zufrieden?“
Jarvis nickte, zog aus einer anderen Tasche ein Schnupftuch und breitete es über den Tisch.
„Warum sollte ich ihn abwischen, wenn du das sowieso vorhattest?“, brummte ich.
„Weil es mich glücklich gemacht hat, und das ist immer ein guter Grund.“
Ich seufzte und sah zu, wie Jarvis das Pergament auf dem Taschentuch ausrollte. Ganz egal, was wir gemeinsam durchmachten, Jarvis und ich würden es nie leicht miteinander haben.
„Was steht dort?“ Ich reckte den Hals, um besser sehen zu können. Da ich auf dem Kopf lesen musste, konnte ich nur das Wort „Welpe“ ausmachen, bevor Jarvis plötzlich einen missbilligenden Laut von sich gab und das Pergament hastig wieder einrollte.
„Was soll das?“
Jarvis’ Blick huschte bedeutungsvoll nach links.
Lieber Himmel, man hat uns entdeckt!, dachte ich und schaute mich um.
„Schau doch nicht jetzt hin“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, doch es war zu spät. Ich hatte bereits den Kopf gedreht.
Mir wurde klar, dass sich irgendwann im Laufe unserer Unterhaltung jemand an den Tisch ganz links von uns gesetzt hatte. Jarvis war der Neuankömmling sofort aufgefallen, aber ich war wohl noch zu neu im Spionagegeschäft und hatte ihn deshalb nicht bemerkt.
Verdammt, dachte ich, noch ein Grund, aus dem Jarvis sich überlegen fühlen kann.
„Tut mir leid, Jarvilein“, sagte ich, doch er wirkte nicht besonders begeistert von meiner Entschuldigung. Stattdessen trug er weiter seine säuerliche Miene zur Schau. Derweil nutzte ich meinen Patzer, um mir den Feind etwas genauer anzusehen.
Die gehetzt aussehende Frau mit dem krausen braunen Haar und Handy am Ohr war gerade damit beschäftigt, ihren Filterkaffee heftig durchzurühren. Auf dem Stuhl ihr gegenüber saß ein kleines Kind. Die Frau war völlig in ihr Telefongespräch vertieft, aber der Junge starrte mich und Jarvis unverhohlen aus großen, neugierigen Augen an.
Als der Junge merkte, dass ich ihn erwischt hatte, wandte er nicht etwa mit der geübten Nonchalance eines Erwachsenen den Blick ab, sondern starrte noch hingebungsvoller zu mir herüber.
Wahrscheinlich war er nicht älter als sieben, aber in seinen hübschen blauen Augen lag eine durchdringende Intelligenz.
Ich tat das Einzige, was mir in dieser Situation einfiel.
Ich winkte.
„Herr im Himmel, ich habe doch gesagt, dass du nicht hinschauen sollst!“, zischte Jarvis. „Und du winkst auch noch? Machst dich mit dem Feind gemein! Was würde dein Vater dazu sagen?!“
Ich verdrehte die Augen. „Der Junge ist kein Spion, Jarvilein. Er hat wahrscheinlich nur noch nie einen Mann mit Hufen gesehen.“
Jarvis versteckte hastig die Hufe unter seinem Stuhl, doch es war zu spät. Der Junge war bereits wie verzaubert. Er strafte die Schokomilchtüte, die vor ihm auf dem Tisch stand, mit Nichtachtung, um seine ganze Aufmerksamkeit einem unterhaltsameren Gegenstand zu widmen … uns.
„Ich habe doch gesagt, dass wir nicht hätten herkommen sollen“, sagte Jarvis griesgrämig.
„Tja, wenn du dir Schuhe angezogen hättest, würde man dich vielleicht auch nicht anstarren“, fauchte ich zurück.
Wir hatten einen kurzen Zwischenstopp in Haus Meeresklippe eingelegt, um uns mit ein paar Vorräten und einer Hose für Jarvis einzudecken, aber gegen Schuhe hatte er sich kategorisch gesperrt. Er hatte behauptet, dass menschliche Wesen so unaufmerksam seien, dass niemand seine Hufe auch nur bemerken würde, solange seine Hosenbeine lang genug waren.
Dafür hatte ich mich komplett neu eingekleidet. Von Clio hatte ich mir eine schwarz-weiß-graue Tarnfarbenhose und ein allerliebstes kleines weißes Tank Top ausgeliehen, auf dem groß BE MY BITCH stand. Außerdem hatte ich meine vernünftigen Schuhe gegen ein Paar schwarzer Converse All Stars ausgetauscht.
Was die Schuhe betraf, hatte Jarvis beinahe recht behalten. Es war einfach nur Pech, dass wir ausgerechnet einem kleinen Jungen begegnen mussten. Ich kam zu dem Schluss, dass Kinder eben einfach schlauer als all die unaufmerksamen Erwachsenen waren. Hier saßen wir inmitten der Betriebsamkeit eines gut besuchten Starbucks -Cafés im mittleren Westen, und kein einziger Erwachsener hatte Jarvis und mir auch nur das geringste bisschen Aufmerksamkeit geschenkt. Doch dieser Siebenjährige hatte uns innerhalb von zwanzig Sekunden auf ganzer Linie ertappt.
„Ich glaube, wir sollten gehen“, sagte Jarvis angespannt.
„Was, wenn er Alarm schlägt?“
Jarvis wurde bleich.
Weitere Kostenlose Bücher