Benson, Amber - Jenseits GmbH 1 - Lieber Tod als Teufel
hatte, als ich meine Freundin Noh vor vier Jahren zu einer sehr eleganten, sehr kostspieligen Hochzeit in Montauk auf Long Island begleitet hatte.
Wegen des schlechten Wetters – Long Island hatte gerade sein schlimmstes Gewitter seit gut zehn Jahren erlebt – waren wir zehn Minuten zu spät zur Hochzeit von Nohs Vetter erschienen. Die blöden Platzanweiser erlaubten uns nicht mehr, uns hinzusetzen, obwohl es noch zwei freie Stühle in der drittletzten Reihe gab. Stattdessen mussten wir während der gesamten fünfundvierzigminütigen Zeremonie stehen, und dann mussten wir noch weitere fünfzehn Minuten warten, in denen die beiden ihre dämlichen, selbst fabrizierten Treueschwüre austauschten, während der Platzregen, der ja der Grund für unsere Verspätung gewesen war, von hinten an unsere Hosen peitschte.
Wirklich, das war das Schlimmste, was ich je erlebt habe.
Wie dem auch sei, es war das schönste Zelt gewesen, das ich je gesehen hatte, aber im Vergleich zu diesem Pavillon handelte es sich um ein besseres Campingutensil.
„Wow“, sagte ich mit einer tiefen, vibrierenden Stimme, die definitiv nicht mir gehörte. Ich beschloss, bis auf Weiteres den Mund zu halten.
Das Zelt war groß genug, um problemlos mehr als zweihundert Menschen unter seinem Seidendach zu beherbergen. Zuerst sah es so aus, als wäre der Stoff von schlichtem Milchweiß, doch als ich genauer hinschaute, bemerkte ich, dass er alles andere als schlicht war. In jeden Quadratzentimeter waren kunstvoll Szenen aus Hindu-Mythen eingewebt. Bei näherem Hinsehen erkannte ich zerbrechliche Menschenwesen zwischen den zahlreichen Inkarnationen ihrer Götter und Göttinnen. Es handelte sich um einen lebenden, atmenden Bilderteppich des gesamten Hindu-Universums.
Ich hätte Jahre damit verbringen können, diese Stoffbahnen zu betrachten – mit jedem Blick entdeckte ich etwas Neues –, stattdessen zog mich etwas zu dem großen, frei stehenden Spiegel in der Mitte des ansonsten leeren Pavillons. Ich streckte die Hand aus, um seinen wunderschön gearbeiteten, versilberten Rahmen zu berühren, und verspürte einen elektrischen Schlag. Mit kribbelnden Fingern wich ich einen Schritt zurück, während mein Blick an dem Spiegelbild hängen blieb, das zu mir zurückstarrte.
Ich befand mich in Indras Körper.
Er trug eine geschmeidige weiße Hose aus demselben Stoff wie der Pavillon, und seine glänzend braune Brust war atemberaubend straff und unbedeckt. Ich zog am Hosenbund und stellte fest, dass ich mich eindeutig in einem Männerkörper befand und dass ich mit meiner Einschätzung von Indras Gliedgröße weit danebengelegen hatte.
Himmel, der Kerl hatte ein verdammtes Pferdegehänge. Ein Teil von mir war schwer versucht, die Hand in die Hose zu stecken und herauszufinden, ob wirklich etwas dran war an dem ganzen Penisbrimborium, doch irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken. Die Idee kam mir ein bisschen so vor, als verginge ich mich an einem Komapatienten. Ich beschloss, nicht an mir herumzuspielen … zumindest fürs Erste. Wer konnte schon sagen, was passieren würde, falls ich für immer in Indras Körper festsaß? Der Kerl war wirklich verdammt ansehnlich, und ich war in Liebesdingen ziemlich ausgehungert. Mit seinem Körper war es sicher ein Kinderspiel, romantische Erfolge zu erzielen.
Ich berührte die dunkle Löwenmähne, die Indras hübsches Gesicht umrahmte. Seine dunklen Augen blitzten mir aus dem Spiegel entgegen.
Er schien beinahe zu bersten vor Kraft und Mut.
Das ist ein anderer Mann als der, dem ich im Filmstudio begegnet bin, stellte ich neugierig fest.
„Ja, er war ein anderer Mann“, Kali tauchte wie von Zauberhand hinter mir im Spiegel auf und sprach meine Gedanken laut aus. Sie trug einen leuchtend roten Sari, und ihr dunkles Haar war wie eine Schlange um ihren Kopf gewunden.
„Was ist mit ihm geschehen?“, fragte ich mit Indras Stimme und jagte mir dabei einen gehörigen Schrecken ein. Es war wirklich besser, den Mund zu halten, bis ich wieder in meinem eigenen Körper war.
„Das soll er uns selbst zeigen, weißes Mädchen“, sagte sie mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen. „Übrigens, Wodan meinte, ich soll dich daran erinnern, dass du nur noch einen Tag Zeit hast.“
„Was soll das heißen, ‚nur noch einen Tag’?“, fragte ich ungläubig.
Sie lachte. „Ups, haben wir dir das nicht gesagt? Wenn du nicht bis zum nächsten Sonnenuntergang mit deinen Aufgaben fertig bist
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