Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
beobachtete ihn genauer, als selbst eine Gefangenschaft es erforderte.
»Und wir sind in Paris, wo Gott oft in die andere Richtung blickt …«
Alejandro wand sich in seinem Sattel. »Gottes Verschwiegenheit ist ein Thema, das wir zwischen hier und Lionels Haus nicht erschöpfend behandeln können.«
Chaucer lachte. »Ganz recht. Also, zu unserer Verschwörung.«
»Jacques hat eingewilligt, mir zu helfen, daß ich de Chauliac entkomme, und sei es nur für einen Tag, damit ich ungestört einige Zeit mit dieser betreffenden Dame verbringen kann. Er ist bereit, verkleidet zu erscheinen, damit er von meiner nächsten Begegnung mit der Dame Kenntnis hat. Und die hoffe ich heute vorzubereiten. Danach könnt Ihr, wenn Ihr frei seid, ihm die Botschaft überbringen, wann sie stattfinden wird. Wir werden einen guten Platz auf der Strecke wählen, wo ich mich auf einen Augenblick entfernen kann, ohne die Aufmerksamkeit meiner Bewacher zu erregen. Und wenn alles gut verläuft, dauert es nicht lange, die betreffende Dame endlich unter vier Augen zu sprechen.«
»Ich denke, das ist recht einfach. Und eigentlich eine recht harmlose Verschwörung. Eine Entführung ist heutzutage in Paris nichts mehr, worum Legenden gesponnen werden«, sinnierte Chaucer.
»Aber ich bin nur einverstanden, wenn ich bei dieser angeblichen ›Entführung‹ zugegen sein darf. Ich sehne mich danach, dergleichen einmal mit eigenen Augen zu sehen.«
»Warum?«
»Um es hinterher desto lebhafter beschreiben zu können, Herr. Wer weiß, wann das einmal von Interesse sein wird.«
»Ihr habt eben gesagt, daß um dergleichen keine Legenden mehr gesponnen werden.«
»Es sei denn, ich beschließe, es zu einer zu machen«, erläuterte der junge Mann zuversichtlich. »Ich liebe Ausschmückungen und vermag sie recht artig zu verfertigen. Denkt darüber nach, Doktor … die schöne Gräfin, in langweiliger Ehe schmachtend, verfällt dem gutaussehenden, exotischen spanischen Arzt, einem sehr geheimnisvollen Mann, der mit seinen sanften Anwendungen ihr Herz gewinnt, sie aus ihrer Bindung löst – vielleicht kommt es gar zu einer Tragödie.«
Alejandro fand in diesem Augenblick, daß Chaucer ein eigenartiger junger Mann war; aber er lachte, denn er genoß die subtilen Nuancen seiner Teilnahme an diesem Unternehmen, das sonst nichts weiter als ein gefährlicher Fluchtversuch wäre. »Mir gefällt das alles recht gut«, ließ Alejandro sich nun vernehmen, »bis auf die Tragödie. In Euch steckt ein großer Dichter, Chaucer. Laßt ihn nicht durch den Pagen vertreiben!«
»Keine Angst, Doktor. Der Dichter ist schon im Aufsteigen.« Er lachte laut und drehte sich kurz um. »Und de Chauliacs Miene wird auch etwas wert sein, nicht wahr?«
Alejandro zwinkerte. »Ja, allerdings.«
»Laßt Euch denn einen Moment von dem aufsteigenden Dichter beraten. Ihr müßt ihr unter allen Umständen schmeicheln. Sagt ihr, Ihr wolltet sie bei hellem Tageslicht im Garten sehen, umgeben von ebensolcher Schönheit der himmlischen Schöpfung.«
Marcel zog eine Grimasse, als er den Brief von Charles von Navarra las. Je weiter er kam, desto mehr riß er die Augen auf, und sein Unmut wuchs. Als er fertig war, fluchte er laut und warf Guillaume Karle das Pergament zu. Dieser las es selbst und reagierte ähnlich.
»Ihr müßt ihm das ausreden.«
»Wie denn?« wollte Marcel wissen.
»Mittels einer weiteren Botschaft, eindringlicheren Bitten, besserer Logik, was auch immer dienlich sein könnte!« Karle warf den Brief Marcel wieder zu. »Aber ein Treffen in Compiègne ist nicht zu unserem Vorteil.«
»Navarra sieht keinen Nachteil darin.«
»Gewiß, aus seiner Sicht nicht. Und in Wirklichkeit riskieren seine eigenen Kräfte ja auch kaum, durch den König Schaden zu nehmen – es sei denn, seine Armee erscheint in weit größerer Zahl als erwartet. Navarras Männer sind bewaffnet, beritten und gerüstet. In Gefahr geraten nur die Fußsoldaten. Alle Leute, die ich zusammenbringe, werden die Vorteile der königlichen Ausrüstung nicht haben und brauchen einen Fluchtweg, wenn sie nicht abgeschlachtet werden sollen.«
»Was nur dann droht, wenn sich die Dinge nicht nach unseren Wünschen entwickeln. Aber da Navarra die Kräfte des Königs sicherlich besiegt, werden Eure Truppen in keinerlei Gefahr sein.«
»Außer durch Navarra.«
»Aber er hat doch versprochen, sich mit Euch zu verbünden. Er hat sein Wort gegeben, Euren Forderungen zu entsprechen, wenn die Schlacht erst gewonnen
Weitere Kostenlose Bücher