Beobachter
Blick bekommen.
Gillian spürte Schweiß auf ihrer Stirn. »In Ordnung«, meinte sie. Sie fand, dass sich ihre Stimme seltsam anhörte, aber Tara schien das nicht zu merken.
Sie stapften langsam zum Haus. Gillian schloss auf, trat sich den Schnee von den Füßen. Sie hörte, dass Tara dicht hinter ihr das Gleiche tat.
Sie spürte ihr Herz laut und schnell schlagen. Der Schweiß auf ihrer Stirn verdichtete sich. Sie wusste nicht, ob es Zufall war, dass Tara fast wie eine zweite Haut unmittelbar an ihr klebte. Undenkbar, dass sie allein irgendwohin gehen, vielleicht telefonieren konnte. Und was sollte sie dem Teilnehmer am anderen Ende der Leitung auch sagen? Ich bin hier mit meiner Freundin in meinem Haus. Ich habe plötzlich ein richtig dummes Gefühl. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Natürlich kann es sein, dass ich mir das nur einbilde, aber mir ist fast schlecht vor Angst, und ich glaube, dass ich Hilfe brauche.
Es gab eigentlich nur einen, den sie anrufen konnte. Der sie nicht für verrückt halten und der einfach herbeieilen würde: John. Sie musste nur sagen: Bitte komm her! Und er würde kommen.
Aber es war ausgeschlossen, heimlich zu telefonieren. Tara war wie ein Schatten hinter ihr.
Auf die Toilette, dachte Gillian, kann sie nicht mit.
Es gab eine Gästetoilette im Erdgeschoss. Mit einem Fenster, das ins Freie führte. Sie konnte versuchen, hinauszuklettern, auf die Straße zu laufen. Bei einem Nachbarn klingeln und bitten, telefonieren zu dürfen.
Tara konnte kaum etwas dagegen tun.
»Was ist?«, fragte Tara. »Wolltest du nicht hinaufgehen und deine Sachen packen?«
Sie wandte sich zu ihr um. Hoffte, dass sie nicht so schlecht aussah, wie sie sich fühlte.
»Ich muss erst einmal dringend auf die Toilette«, sagte sie entschuldigend. »Wartest du einen Moment?«
Tara starrte sie an.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Beide Frauen fuhren zusammen. Dann streckte Gillian den Arm aus.
Tara hielt sie zurück. »Lass es einfach klingeln. Das hält uns nur auf!«
Nach dem sechsten Läuten sprang der Anrufbeantworter, der ebenfalls im Flur stand, an.
8
Samson war weit davon entfernt, wirklich zu verstehen, in welche Richtung sich die Dinge entwickelten, und John hatte so schnell die Wohnung verlassen, dass er ihm auch keine einzige Frage mehr stellen konnte. Verwirrt und beunruhigt blieb er in den kahlen Räumen zurück.
Er ließ sich die letzten Gesprächsminuten noch einmal genau durch den Kopf gehen.
Gillian ist doch nicht in Gefahr? ,hatte er gefragt, und die wenig beruhigende Antwort von John lautete: Ich weiß es nicht.
Und dann hatte er gefragt, ob ihr Gefahr von Tara drohe, von ihrer besten Freundin, und diesmal hatte John geantwortet: Ich hoffe nicht.
Was auch nicht besser war.
Tara.
Samson war aus Johns Andeutungen nicht einmal ansatzweise schlau geworden. Er hatte telefoniert, und dann war der Name Tara Caine gefallen, und John war wie elektrisiert gewesen. Er sprach von einem Bindeglied, nach dem alle ewig gesucht hatten. Irgendwie hing das alles auch noch mit der Frau von Charity-Stanford zusammen, aber diesen Gedankengang vermochte Samson schon überhaupt nicht einzuordnen.
Er versuchte, sich die Bilder ins Gedächtnis zu rufen, die er von Tara Caine hatte.
Er hatte sie etliche Male beobachtet, wenn sie Gillian besuchte. Ihm war sofort klar gewesen, dass eine enge Freundschaft die beiden Frauen miteinander verband. Sie hatten einander nicht überschwänglich begrüßt, aber mit der innigen Vertrautheit, die jedes laute Getue überflüssig macht. Ihm hatte Tara gefallen. Eifersüchtig und misstrauisch hatte er über das Bild gewacht, das er sich von Gillian und ihrer Familie gemalt hatte und dessen Unzerstörbarkeit ihm heilig war, und es war für ihn von großer Bedeutung gewesen, wie sich die Freundin einfügte. Tara Caine hatte ihn beruhigt. Sie war ihm sympathisch gewesen, und, was noch weit mehr zählte, sie passte zu Gillian. Eine sehr normal wirkende Frau, intelligent, elegant, aber nie allzu auffällig zurechtgemacht, nie schrill oder laut. Manchmal war sie ganz offensichtlich direkt vom Büro gekommen und hatte schicke Hosenanzüge getragen; manchmal aber war sie auch einfach nur in Jeans, Sweatshirt und Turnschuhen erschienen.
Passt, hatte er gedacht, alles in Ordnung. Die perfekte Freundin der perfekten Frau in der perfekten Familie.
Offensichtlich hatte er sich noch weitreichender geirrt, als er bereits wusste. Thomas Ward war überhaupt kein netter
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