Beobachter
Mensch gewesen, und die Ehe der Wards hatte auf der Kippe gestanden. Gillian hatte sich in ein außereheliches Verhältnis verstrickt, mit der Tochter gab es massive Probleme. Und nun schien auch mit der besten Freundin etwas nicht zu stimmen – Samson wusste bloß nicht, was es war.
Stellt Tara eine Gefahr für Gillian dar?
Ich hoffe nicht.
Er ging zwischen dem Fenster und dem Stuhl in der Mitte des Zimmers hin und her. Der ganze Raum roch nach kalten Pommes frites. Angewidert betrachtete Samson seinen angebissenen Burger, der auf dem Deckel der Pappschachtel lag. Er konnte nicht verstehen, dass er noch kurz zuvor solchen Hunger gehabt hatte, dass ihm das Wasser im Mund zusammengelaufen war. Jetzt krampfte sich sein Magen allein bei dem Gedanken an Essen zusammen.
John hatte gesagt, dass sich Gillian bei Tara aufhielt. Verständlich. Es musste ein Albtraum für sie gewesen sein, in das Haus zurückzukommen, in dem ihr Mann ermordet worden war. Und insgeheim war Samson von Erleichterung erfüllt, für die er sich schämte, denn schließlich war John der einzige Mensch, der ihm half und der dafür eine Menge riskierte, aber trotzdem: Gillian war nicht zu John geflüchtet. Sondern zu ihrer besten Freundin.
Die Beziehung konnte also nicht allzu eng sein, das war eindeutig daraus zu schließen.
John hatte versucht, Gillian anzurufen, aber sie war nicht an ihr Handy gegangen. Wenn sie in Gefahr schwebte, so hatte sie möglicherweise nach wie vor keine Ahnung davon.
Samson hatte oft gelesen, dass sich jemand die Haare raufte , und bislang war das für ihn ein symbolischer Ausdruck dafür gewesen, dass jemand in Ärger, Ungewissheit oder Ratlosigkeit schier verrückt wurde. Zum ersten Mal stellte er fest, dass man es tatsächlich tun konnte:Denn jetzt raufte er sich die Haare, fuhr wieder und wieder mit allen zehn gespreizten Fingern hindurch, als könne er damit seinen Verstand dazu bewegen, einen guten, schlüssigen, hilfreichen Gedanken zu finden. Der ihn aus der Situation befreite, immer nur zu warten. Entweder in ungeheizten Pensionen oder in einem Wohnwagen auf einer verlassenen Baustelle oder in einer leeren Altbauwohnung zu sitzen und auf etwas zu warten, wovon er nicht einmal wusste, was es war.
Er wollte endlich etwas tun. Endlich seinen Beitrag leisten, endlich etwas bewirken. Nützlich sein. Nicht für sich in erster Linie. Sondern für alle, die sich innerhalb dieses verworrenen Falles aufrieben.
Vor allem für Gillian.
Seine Haare standen wie ein Wischmopp zu Berge, aber immerhin war ihm ein Gedanke gekommen. John hatte mit seinem ins Leere gelaufenen Anruf offenkundig versucht, Gillian zu warnen. Warum sollte nicht er, Samson, dasselbe probieren?
Er könnte sich Tara Caines Telefonnummer von der Auskunft besorgen und dann dort anrufen. Allerdings bereitete ihm diese Vorstellung einige Sorgen. Es war später Freitagnachmittag. Mit einer ziemlich hohen Wahrscheinlichkeit war Tara zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Büro, sondern längst daheim. Vermutlich würde sie den Telefonhörer abnehmen. Im Display konnte sie John Burtons Nummer sehen. Und er, Samson? Was sollte er sagen?
Hallo, hier ist Samson Segal, der Mann, der wegen Mordverdachts gesucht wird. Wie Sie unschwer erkennen können, sitze ich gerade in der Wohnung von John Burton, dem Exbullen. Kann ich bitte mal Gillian sprechen?
Vielleicht gelang es ihm, die Anruferkennung aus Johns Apparat herauszunehmen, obwohl er keine Ahnung hatte, wie das ging. Vielleicht hatte er auch die Nerven, sich mit einem anderen Namen vorzustellen, und vielleicht verband ihn Tara daraufhin mit Gillian.
Und dann?
Würde sie eine Warnung unauffällig entgegennehmen, während die Person, vor der sie gewarnt wurde, direkt neben ihr stand?
Trotzdem, dachte er, ich probiere es.
Er spürte, wie ihm heiß wurde.
Er hätte sich all seine Gedanken nicht machen müssen: Bei der Auskunft erfuhr er, dass Tara Caines Telefonnummer nicht weitergegeben wurde. Die Staatsanwältin hatte ihre Privatnummer sperren lassen.
Eigentlich kein Wunder bei ihrem Beruf, dachte Samson, von wie vielen Knackis würde sie sonst nach deren Entlassung wohl terrorisiert werden!
Er konnte sich nicht einfach wieder in den Sessel setzen und Däumchen drehen. Nicht, nachdem er sich zumindest gedanklich schon einmal so weit nach vorn gewagt hatte.
Ein Mal wollte er das Entscheidende tun.
Ein Mal der Held sein.
Er brachte die Reste des unappetitlichen Mittagessens in die Küche, warf sie in
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