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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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fuhr eine Kurve. Im angrenzenden Abteil fiel ein in braunes Papier eingeschlagenes Paket von der Gepäckablage. »Hauptsächlich in Frankreich«, sagte Quinn, als er das Gleichgewicht zurückerlangt hatte. »Und in der Türkei.«
    Mr. Westbury musterte Quinn. Jetzt, wo sie sich einander vorgestellt hatten, traute er sich, Quinns Narbe anzustarren. »Sie haben Glück gehabt«, sagte er.
    Das hatte Quinn schon ein Dutzend Mal gehört. Im Feldlazarett in Frankreich und dann auch im Harefield Hospital, als eine verschleierte Schwester das Bett neben seinem machte, nachdem sie einen armen Teufel, der in der Nacht gestorben war, hinausgeschoben hatte. Vielleicht sehn Sie’s jetzt noch nicht so, aber Sie gehören zu denen, die Glück hatten . Dann wieder auf dem Transportschiff, das sie nach Hause brachte. Die Leute sagten es ihm ständig und waren enttäuscht, wenn er seine Zustimmung nicht mit der entsprechenden Begeisterung zum Ausdruck brachte.
    »Ich meine, Sie hatten Glück, dass Sie überlebt haben«, fügte Mr. Westbury hinzu. »Trotz … der Narbe und allem.«
    »Ja«, sagte er schließlich. »Ich hab Glück gehabt.«
    Mr. Westbury sagte irgendwas, das Quinn wegen des Lärms nicht verstand.
    »Was?«
    »Ich habe gesagt: Sie wurden verschont.«
    »Ja.«
    Nach kurzem betretenem Schweigen fragte der junge Mann, wohin er unterwegs sei.
    »Flint«, erwiderte Quinn.
    Mr. Westbury nickte, obwohl klar war, dass er noch nie von dem Ort gehört hatte. Das ging fast allen so. Jetzt, wo das Gold abgebaut war, gab es kaum einen Grund, dort hinzufahren. Es gab nur noch wenige Einwohner. Nicht einmal die Kartografen befassten sich noch mit dem Ort.
    »Das ist Ihre Heimat, nehme ich an?«
    Quinn betrachtete diesen Burschen mit seinem gestärkten Hemd, der ihm erzählt hatte, er sei wegen einer Sehschwäche für den Militärdienst untauglich. Er zuckte mit den Schultern und zog an seiner Zigarette, woraufhin er einen leichten Hustenanfall bekam.
    »Ich glaube schon«, sagte er, als er sich erholt hatte. »Es ist mein Geburtsort. Ich muss da was in Ordnung bringen.«
    Mr. Westbury tupfte sich mit seinem Taschentuch ungeduldig die Stirn ab. »Tja, viele Orte sind vor die Hunde gegangen. Jede Menge.« Anscheinend hatte er das Interesse verloren.
    Quinn warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie mit dem Stiefelabsatz aus. Eine Frau mit ihrer kleinen Tochter gab zu verstehen, dass sie vorbeiwollte, und Quinn und sein neuer Begleiter traten so weit zurück, wie der enge Gang es erlaubte.
    Dann schwiegen die beiden, bis der Mann, der wieder die schartige Narbe an seinem Kinn angestarrt hatte, ihn heranwinkte und im Flüsterton sagte: »Sie sollten sich etwas für Ihr Gesicht einfallen lassen. Es vielleicht abdecken? Haben Sie keine Grippemaske? Sie jagen den Kindern sonst Angst ein.«
    Und Quinn, gewöhnlich zurückhaltend, aber jetzt vom Teufel geritten, erwiderte ebenfalls flüsternd: »Tja, die Kinder haben allen Grund, sich zu ängstigen.«
    In Bathurst schlich er aus dem Bahnhof und wandte sich nach Nordwesten. Er verließ die Stadt und ging immer weiter, manchmal an der Straße entlang, dann wieder schleppte er sich durch Ebenen oder kletterte über zerklüftete Felsen. Die Erde unter seinen Füßen war trocken und hart, und der Himmel – blau und wolkenlos – gähnte über ihm, höher und gewaltiger als jeder Himmel, den er irgendwo auf der Welt gesehen hatte, ein eigener Kontinent. Habichte kreisten wie dunkle, wachsame Sterne, die sich aus ihrer Umlaufbahn gelöst hatten.
    Er trennte sein Namensschild von der Uniformjacke ab und mied Orte, an denen er Leuten begegnen könnte, die ihn vielleicht erkennen würden. Die wenigen Farmer, die er sah, nickten oder wedelten mit dem Hut, erfreut, einen Soldaten aus dem Weltkrieg zu Hause begrüßen zu können. Eine Familie rumpelte vorbei, ihre ganzen Besitztümer und die fünf Kinder auf einem Pferdekarren zusammengedrängt. Ihre Münder und Nasen waren mit Mullmasken bedeckt, sie wandten den Blick ab und entboten ihm keinen Gruß, da sie offenbar Angst hatten, sich anzustecken. Zumeist schenkten die Leute ihm keine Beachtung. Nach einem Krieg war es nicht so ungewöhnlich, jemanden allein umherziehen zu sehen; vermutlich gab es ganze Heere heimkehrender Männer, alle in zerlumpter Uniform, als winzige Punkte auf der Erde wandelnd. Um die Mittagszeit hielt er unter einer Gruppe Zypressen ein Nickerchen und marschierte dann weiter, bis es zu dunkel wurde.
    Auf dem Lande wimmelte es

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