Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
Vom Netzwerk:
von Tieren: Eidechsen und Schlangen, Buntsittiche und Elstern. In der Abenddämmerung hüpften graue Kängurus auf den Wiesen und stellten sich auf die Hinterbeine, um zu beobachten, wie er vorbeistapfte. Kaninchen hoppelten am Rand seines Blickfelds entlang, und wo er auch ging, umflatterten ihn Paare orangefarbener Schmetterlinge. Und das Summen, immer wieder dieses Summen von Fliegen und Bienen, das er trotz seines schlechten Gehörs vernahm.
    Er war es gewohnt, lange Strecken zu marschieren, und kam gut voran. Es war angenehm, sich so frei zu fühlen, trotz des Kriegszubehörs, das er noch bei sich trug – seinen Tornister, die Umhängetasche mit seiner Gasmaske und seinen Revolver, der unter der offenen Uniformjacke steckte. Er hielt sich an keinen festen Kurs, sondern marschierte einfach, als könnte sein Vorwärtsdrang den Gestank des Krieges und alles, was während seiner Abwesenheit passiert war, zunichtemachen. Am Horizont waren zitternde Luftspiegelungen zu sehen. Riesige Schiffe, eine Kolonne von Elefanten, einmal sogar eine ganze Stadt mit Gebäuden und Kirchtürmen, eine riesige Metropole, die sich jedes Mal, wenn er näher kam, weiter zurückzog.
    Am Ende des Tages verschwand die Sonne stets aus seinem Blickfeld und ließ für zehn Minuten den Horizont erglühen. Er schlug sein Lager abseits der Straße auf und starrte in die Flammen des Feuers, das sein Ersatz für die untergegangene Sonne war. Seine Sandwiches teilte er sich sorgfältig ein. Er betete auf seine seltsame Art, die eher einer Befragung glich. Wenigstens ahnte er jetzt, nach all den Jahren, warum er verschont worden war. Das war ein Trost.
    Mit dem Gedanken an seine Schwester Sarah schlief er ein. Selbst mit geschlossenen Augen wusste er, wo auf der Erde er sich befand, konnte sich seine genaue Position vorstellen, während sein innerer Kompass ausschlug, um ihn nach Hause zu führen.
    2 Nach mehreren Tagen wurde die Landschaft vertrauter. Quinn begann, Örtlichkeiten zu erkennen: eine Felsengruppe, die aussah wie eine Horde im Gestrüpp schnüffelnder Schweine; den Baum, an dem sich Bill Clayton 1905 erhängt hatte, nachdem seine Frau mit dem Trommler der Heilsarmee durchgebrannt war; die Abraumhalden verlassener Goldminen. Er stieß auf Schluchten, die vom Bergbau herrührten, verlassene Schächte, die verrosteten Überreste von Maschinen, die halb in der roten Erde versunken waren.
    Noch vor fünfzig Jahren waren diese Hügel voller Gold gewesen, und in Flint hatte es von hungrigen Männern und ihren noch hungrigeren Familien gewimmelt, doch der Boom ging rasch vorbei und hinterließ eine gequälte, zerklüftete Landschaft, verschandelt von den Überresten der Steinstampfer und der Holzgerüste, die man über den Schächten errichtet hatte. Alles, was blieb, war die große Sparrowhawk Mine, doch die Berge und Schluchten in der ganzen Gegend waren mit den Trümmern kleiner Siedlungen überzogen, in denen sich die Familien nach ihren Herkunftsländern niedergelassen hatten: das Welsh Village, Irish Town, Chinese Flat. Der Boden war hart und steinig. Überall blühten schottische Disteln. Selbst die einheimischen Bäume schienen nicht aus diesem Land gesprossen, sondern – gegen ihren Willen, da sie himmelwärts strebten – in die Erde gesteckt worden zu sein, aus der sie sich jetzt herauszuwinden versuchten.
    Quinn hatte diese Hügel als kleiner Junge durchstreift, hatte Vögel und Kaninchen erlegt, und oft war Sarah hinter ihm hermarschiert und hatte ihn für Fehlschüsse getadelt. Sie hatten kleine Goldklumpen gefunden, die sie horteten und, wenn sie älter waren, verkaufen wollten, um in fremde Länder reisen und exotische Tiere und Juwelen erstehen zu können. Sarah nannte diese Klümpchen Schätze, wenn sie sie feierlich in eine Zigarrenkiste legte, zu verschiedenen Knöpfen, die sie als wertvoll betrachtete, einer Brosche, seltenen Federn und einer Briefmarke, die sie eines Tages in der Orchard Street gefunden hatte. Oft hatte Sarah einen dieser Gegenstände als Glücksbringer dabei und zog ihn irgendwann hervor, um ihn sich anzusehen. Nicht dass es geholfen hätte: Quinn wusste noch genau, dass an ihrem Todestag ein roter Glücksknopf an ihr Kleid genäht war.
    Wenn er jetzt in einer Schlucht oder unter einem Baum rastete, verweilte er minutenlang im kühlenden Bernstein der Erinnerung. Es war eine heikle Mischung aus Sehnsucht und Bedauern. Es erstaunte ihn, wie wenig sich alles in den zehn Jahren seiner Abwesenheit

Weitere Kostenlose Bücher