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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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– hatte schon den Körper angespannt –, als plötzlich der stämmige Sergeant mit den Befehlen zurückkehrte und den rumpelnden Motor anließ. Okay, knöpfen wir uns ein paar von den Deutschen vor, was?
    Ein hagerer, genervter Arzt, der im Hauptbahnhof an einem speziellen Tisch arbeitete, untersuchte Quinn und stellte ihm eine Bescheinigung aus, derzufolge er nicht an Grippe erkrankt war. Eine Schwester vom Roten Kreuz drückte ihm eine Papiertüte voller Käsesandwiches in die Hand und machte ihn darauf aufmerksam, dass die Staatsgrenzen wegen der Epidemie geschlossen waren. Er stieg in einen Zug, fuhr, in der Hitze dösend, über die Blue Mountains und dann in das braune Land der westlichen Ebenen hinab.
    Im Zug wimmelte es von heimkehrenden Soldaten – ein paar schweigsam und verschlossen, die meisten rauchend und zechend – und von Zivilisten: eine elegante Frau, die den Arm um die Schultern ihres kleinen Sohns gelegt hatte, ein Farmer mit einer Hasenscharte, der nach Bier stank, ein Junge mit trüben Augen und zwei Mädchen, die beide eng um ihr linkes Handgelenk gewundene Bänder trugen – der neueste abergläubische Schutz gegen die Epidemie. In den Waggons war es warm, die Luft erfüllt vom Zigarettenrauch. Quinn stand im schmalen Gang und starrte aus dem Fenster. Er hatte die Grippemaske abgenommen, um den Wind im Gesicht besser spüren zu können. Die Landschaft war graubraun und ausgelaugt. Eine Gruppe von Männern am anderen Ende des Gangs unterhielt sich über den Wynne-Mord: Ein namhafter Arzt aus Bathurst hatte in der vorigen Woche seine untreue Frau erschossen und war geflüchtet. Ein krankes Baby wimmerte.
    Wie eine bizarre Spinne, die nicht an ihre vielen Gliedmaßen gewöhnt ist, kamen vier betrunkene Soldaten Arm in Arm den Gang entlanggetorkelt. Alle sangen mit wackligen Beinen, aber großer Begeisterung verschiedene Lieder, und einer von ihnen bat die anderen, noch mal neu anzufangen, damit sie im Takt singen könnten, doch sie schenkten ihm keine Beachtung. Einer stolperte und schnitt sich an einem metallenen Fensterschloss. Der Soldat hielt die blutende Hand hoch. »Ich bin verwundet«, jammerte er in gespielter Verzweiflung, während seine Freunde ihm lachend auf die Schulter klopften, ein breites Grinsen in ihren dummen Gesichtern. »Schicken Sie mich nach Hause, Captain. Ach, bitte schicken Sie mich nach Hause.«
    Angeblich waren Menschen, die den Tod gesehen und überlebt hatten – bei einem Unfall, im Krieg oder wo auch immer –, manchmal von einem unnatürlichen Überschwang und Hunger auf Leben erfüllt. Wenn irgendwer mit dem Tod vertraut war, dann diese aus dem Krieg in Europa heimkehrenden Soldaten; Quinn hatte die Stimmung in London, unter denen, die noch demobilisiert werden mussten, als ein kaum gezügeltes Chaos in Erinnerung. Unglaube und Schuldgefühle waren eine gefährliche Mischung. Männer gingen das Risiko ein, johlend und wie wahnsinnig lachend, mit blitzenden Zähnen, in der einen Hand eine Flasche und in der anderen einen Schlapphut, hinten auf fahrende Kutschen aufzuspringen oder an einem eiskalten Morgen in der Themse zu baden. Doch Quinn teilte ihre Begeisterung nicht; er befürchtete, dass ihm das Schlimmste noch bevorstand.
    Während der Fahrt musste er immer wieder verstohlene Blicke auf den Farmer mit der Hasenscharte werfen und konnte kaum glauben, dass dieser Mann zur selben Zeit, als Quinn Tausende von Kilometern entfernt bis zur Brust in Schlamm, Blut und Trümmern gestanden hatte, seinem Tagwerk nachgegangen war. Der Farmer lächelte zaghaft zurück, als glaubte er, dass sie wegen ihrer deformierten Gesichter etwas gemeinsam hätten.
    Ein junger Mann in schickem Anzug und steifem Strohhut kam auf Quinn zu, bot ihm eine Zigarette an – eine Havelock, mit Freuden angenommen – und begann ein träges Gespräch. Der Fremde roch nach Menthol und Gewürznelken und hatte ein weißes Taschentuch, mit dem er sich in regelmäßigen Zeitabständen die glänzende Oberlippe abtupfte. Er stellte sich als Mark Westbury vor, war ernst, aber freundlich und lauschte aufmerksam dem wenigen, das Quinn ihm von seinen Kriegserlebnissen erzählte. Quinn plauderte nicht gern und fand es schwierig, beim Rattern des Zugs und dem allgemeinen Radau etwas zu verstehen.
    »Und wo haben Sie gekämpft, Sergeant … Walker, oder?«
    Quinn zuckte zusammen. »Woher kennen Sie meinen Namen?«
    Mr. Westbury deutete auf das Namensschild an Quinns Uniformjacke. Natürlich.
    Der Zug

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