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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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sich durchs Wasser, die Tiere schnellten aus dem Meer und schwebten einen Augenblick in der Luft, bevor sie wieder in den Wellen verschwanden. Vögel badeten in den Regenbögen, die in der Gischt Gestalt annahmen. Quinn fand es unmöglich, die Meeresoberfläche zu betrachten, ohne sich auszumalen, was wohl in der darunterliegenden dunklen Welt herumschwamm: Wale und Haie, bellende Fische, Eidechsen, die die Korallenbänke durchstreiften, der mächtige Leviathan. Alle bekannten und unbekannten Lebewesen.
    Aus einer Tasche seiner Uniformjacke zog er seine Military Medal hervor, eine Tapferkeitsmedaille für den Einsatz in einer Nacht, an die er sich kaum noch erinnern konnte, obwohl sie bloß etwas mehr als zwei Jahre zurücklag. Vielleicht noch an das Geschützfeuer, die Schmerzensschreie der Männer, den Geschmack von Erde im Mund, doch all diese Eindrücke konnten aus jeder beliebigen Kriegsnacht stammen. Von allem, was in seinem Leben ein Grund zur Scham war, schämte er sich dieser Medaille vielleicht am meisten. Für hervorragende Tapferkeit, hatte in seiner Belobigung gestanden, und großen Pflichteifer. Er hat bei der Rettung von Männern, die unter Erdmassen begraben lagen, großen Mut bewiesen und zudem beständig gute Arbeit geleistet . Die Münze und das daran befestigte Band passten genau in seine Handfläche. Was für ein schlechter Witz. Er kümmerte sich keinen Deut um seine eigene Sicherheit: Das hatte nichts mit Tapferkeit zu tun.
    Als er überzeugt war, unbeobachtet zu sein, holte er aus und warf die Medaille in die Wellen hinaus. Er war enttäuscht, dass er sie sofort aus den Augen verlor; er hatte auf die grausame Genugtuung gehofft, zu sehen, wie sie, im Sonnenlicht schimmernd, einen glänzenden Bogen beschrieb und mit kurzem Platschen im gewaltigen Meer verschwand. Egal. Das Ding war weg.
    Ringsum zogen Männer an ihren englischen Zigaretten und schufen Geister aus Rauch, die vom Wind verscheucht wurden. Soldaten standen aufgereiht an der Reling und starrten zum Horizont hinaus. Jene Soldaten, die eine Angst vor freien Flächen entwickelt hatten, blieben unter Deck bei den Kranken und Lahmen, lagen gemütlich in ihren Hängematten, geborgen in der warmen, rauchigen Kameradschaft von Männern.
    Quinn blieb für sich, er war in der Gesellschaft anderer Leute stets gehemmt. Anfangs hatte man ihm den Spitznamen Meek, »der Verschlossene«, gegeben – Meek Walker –, doch als der Krieg sich hinzog und immer mehr Männer unnahbar und vorsichtig geworden waren, wurde solche Schüchternheit nicht mehr als erwähnenswert betrachtet, wurde kaum noch bemerkt.
    Manchmal kletterte jemand auf die Reling und schwang sich in die Luft, mit den Armen fuchtelnd, während er aufs Wasser zustürzte, der Kopf vielleicht noch mal aufglänzend, bevor er zum letzten Mal unterging, um nie mehr gesehen zu werden. Ein dunkler, aufgerissener Mund, der einen letzten Atemzug einsog, von der Zauberin Morgan le Fay in ihren Palast unter den Wellen gelockt. Quinn stellte sich vor, wie diese Männer, mit Seetang geschmückt, schaumumkränzt, in das trübe, friedvolle Reich hinabsanken, der Erde und ihres vergänglichen Leids ledig.
    Die an Deck Verbliebenen schüttelten den Kopf über diese Vergeudung und riefen sich gegenseitig ins Gedächtnis, dass man sie vor der Abfahrt gewarnt hatte, das Schiff würde, wenn jemand über Bord ging, nicht umdrehen, um ihn zu retten. Es war nicht mal sinnvoll, es zu erwähnen. Was für eine Vorstellung, alles zu überstehen, was wir überstanden haben, und dann so zu enden! Wo wir so viele Männer verloren haben! Absolut wahnsinnig.
    Doch Quinn verstand diesen Ruf des Meeres. Derart von den Wellen verschlungen zu werden. Voll und ganz. Ja.
    In der North-Head-Quarantänestation wurden er und die anderen mit einem Schlauch abgespritzt. Trotz allem schockierte ihn der Anblick nackter Männer noch immer. Ihr ungeschütztes Ich war empfindlich, ein sprödes Wesen unter ihrer Uniform. Die Haut so dünn und blass. Verborgen. Viele von ihnen ohne Arme, ohne Beine; mit Brandwunden und münzförmigen Narben übersäte Jungen und Männer. Kein Wunder, dass so viele Millionen gestorben waren: Menschen sind nichts, wenn sie in die Maschinerie der Geschichte geraten.
    Ihr Gepäck wurde ausgeräuchert, und danach zwang man sie, eine Zinksulfatlösung einzuatmen, um ihre Lunge zu reinigen und zu verhindern, dass sie die Grippe bekamen.
    Die Unterkünfte in North Head waren miserabel, und die Männer beklagten

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