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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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Dürfen Sie mit dem Zug fahren? Sie wissen, dass die Grenzen geschlossen sind? Die schießen, wenn man sie überqueren will«, fügte er genüsslich hinzu.
    Quinn regte sich nicht. Er umklammerte den mit Baumwollfaden umwickelten Talisman so fest in der schweißnassen Hand, dass er wusste, wenn er diese Begegnung überlebte, würde seine Hand eine halbmondförmige Wunde aufweisen. Er ließ seinem Herzen freien Lauf und betete.
    Zu seinem Erstaunen tauchte plötzlich hinter Roberts Schulter, erst nur als Nachtfaltergeflatter am Rand seines Blickfelds, dann immer deutlicher, eine schwarz gekleidete Frau auf, die zwischen den Gräbern hindurchschlüpfte.
    Auch Dalton wurde darauf aufmerksam. Vielleicht von Angst getrieben, steckte er den Revolver ins Halfter zurück und drehte sich um, um die Frau zu betrachten. Sein Nacken war sonnengebräunt. »Mrs. Porteous. Welche Überraschung. Sie sind bestimmt gekommen, um Ihre … Ihre …«
    »Tante zu besuchen, Konstabler Dalton. Meine Tante Ginny.«
    »Ah. Ja. Arme Frau. Sehr nette Frau. Schreckliche Sache.«
    Inzwischen war diese Mrs. Porteous nur noch zehn Schritte entfernt. Sie hatte die Hand in steifem Gruß erhoben, um ihre Augen zu beschirmen. Sie mochte zehn Jahre älter sein als Quinn. Er konnte sich kaum noch an sie erinnern. Sie umklammerte ein Blumensträußchen.
    »Ja, das stimmt«, erwiderte sie. »Und es war auch eine schreckliche Sache. Man fragt sich, wann wohl alles vorbei ist.«
    »Ja«, pflichtete Dalton ihr bei. »Wahrhaftig. Das fragt man sich.«
    »Falls es überhaupt vorbeigeht.«
    »Ja, falls überhaupt.«
    Mrs. Porteous musterte Quinn. Inzwischen war er schrecklich anzusehen und schämte sich, dass er dermaßen heruntergekommen war. Er starrte seine kaputten, staubigen Stiefel an. Wenigstens hatte er das Lammblut aus seiner Kleidung gewaschen. Die Luft summte und brannte.
    »Dieser Herr hier hat mir von seiner Zeit auf Gallipoli erzählt«, sagte Robert und ergriff plötzlich voller Jovialität Quinns Arm. »Unterwegs nach Bathurst, stimmt’s, mein Freund?«
    Mrs. Porteous wirkte unbeeindruckt, ja geradezu feindselig. »Aha.«
    Es folgte ein beklommenes Schweigen, in dem das Summen der Insekten zu hören war. Dann fragte ihn die Frau irgendwas.
    »Wie bitte, Ma’am?«, fragte Quinn.
    »Wo waren Sie, Sir? Im Krieg, meine ich.«
    Quinn räusperte sich. »In Frankreich. Eine Zeit lang eben auch auf Gallipoli.«
    »Diese verfluchten Türken«, rief Robert. »Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, Mrs. Porteous, aber das ärgert mich wirklich.«
    Mrs. Porteous nickte. »Mein Mann war auch dort. Bei der Infanterie. 13 . Bataillon.«
    Quinn zeigte wenig Begeisterung für solche Gespräche, brachte aber ein dünnes Lächeln zustande. Er erinnerte sich an Mrs. Cranshaws Worte über den Hass, den jemand, der Angehörige im Krieg verloren hatte, für die empfand, die überlebt hatten. »Wie heißt er? Vielleicht kenne ich ihn.« Das war inzwischen allgemeiner Brauch; man musste sich auf solche Gespräche einlassen. Es war, als hätte der Krieg unter Männern dieselbe Verbundenheit erzeugt wie der Besuch eines bedeutenden gesellschaftlichen Ereignisses oder einer berühmten Schule.
    »Er war in Bullecourt. Dort ist er gefallen.«
    »Oh. Tut mir leid.«
    Sie winkte ab. Vielleicht hatte Mrs. Cranshaw recht; die Kriegerwitwen hatten das Mitleid, die guten Wünsche, das Geschwätz über Tapferkeit und Ehre allmählich satt. Sie brauchten etwas Wesentlicheres von ihren toten Männern. »Es ist nicht Ihre Schuld«, fügte sie in versöhnlicherem Ton hinzu.
    Robert schien sich angesichts der Richtung, die das Gespräch nahm, unwohl zu fühlen. Er ließ Quinns Arm los und schwadronierte darüber, was für eine Schande dieser verdammte Krieg gewesen sei und wie gern er sich ins Kampfgetümmel gestürzt hätte, wenn ihn sein Dienst als hiesiger Polizeibeamter nicht davon abgehalten hätte …
    Es beunruhigte Quinn, wie Mrs. Porteous ihn musterte.
    »Sie kommen mir irgendwie bekannt vor, Sir. Stammen Sie aus dieser Gegend?«
    Er errötete. »Nein, Ma’am. Ich bin nur auf der Durchreise. War noch nie hier.«
    Jetzt starrte ihn Robert mit frischem Interesse an, als hätte die Frau etwas entdeckt, das ihm entgangen war. »Ja«, sagte er und zückte sein Notizheft. »Stimmt ja. Die Papiere. Ich wollte Mr. – Wakefield, nicht wahr? – gerade nach seinen Papieren fragen, um zu überprüfen, ob er nicht mit der Grippe infiziert ist. Natürlich bloß eine

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