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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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drückte, hatte sich ein Wulst gebildet, und weiter oben war ihr Arm wie mit Pfirsichflaum überzogen.
    Wie in vielen Nächten vogelgleich ineinandergefaltet, verharrten sie reglos und lauschten dem Ziehen der Sterne und der Drehung der Erde. Die Nacht war vollendet, es wurde jetzt nicht mehr dunkler. Er fragte sich, was wohl aus ihnen werden würde, nicht bloß in dieser Nacht oder den nächsten paar Tagen, sondern im Laufe der bevorstehenden Monate und Jahre.
    Sie schmiegte sich fester an ihn. »Du lässt nicht zu, dass sie mich wegbringen, oder? Du wartest doch, bis Thomas zurückkommt, um mich zu holen?«
    Die Glut des Feuers knisterte. »Ja. Klar bleibe ich. Ich lasse nicht zu, dass sie dich finden.«
    »Du beschützt mich? Versprochen?«
    »Ehrenwort.«
    Er entfachte das Feuer wieder, und den Rest der Nacht kuschelten sie sich gegen die Kälte fest aneinander. Am Morgen fertigten sie aus Zweigen eine Trage an, auf die sie das ausgeweidete Lamm banden, und zogen es den Berg hinunter zu ihrer Hütte.
    22 Der Tag wurde heiß und beschwerlich. Als sie in der Hütte ankamen, ließ sich Sadie auf den Fußboden sinken und schlief sofort ein. Inzwischen war ihr Kleid am Saum ganz zerfetzt. Ihre Hände waren immer noch mit dem Blut des Lamms befleckt, und auch auf ihrem Oberarm prangten Spritzer. Quinn wusch das Lammblut aus seiner Kleidung und hängte sein Hemd zum Trocknen über einen Ast.
    Rastlos begab er sich zum Friedhof und streifte den ganzen Nachmittag zwischen den Gräbern umher. Er wusste noch, wie er Sadie misstraut hatte, als sie behauptete, sie hätte es in ihrem Leben nur viermal regnen sehen, doch nach dem Zustand des Landes in dieser Gegend zu urteilen, hatte sie vielleicht die Wahrheit gesagt. Der Boden war hart wie Stein und das Laub der Eukalyptusbäume so trocken, dass es ihn nicht überrascht hätte, wenn es Feuer finge. Natürlich hatten sie den ganzen Tag nichts über die Rückkehr des Fährtensuchers erfahren. Manchmal kommt die Information auf verschlungenen Wegen . Das war doch verrückt.
    Es war dumm gewesen, zu glauben, dass ihre Magie hilfreich sein könnte, aber er war verzweifelt. Sein erster Eindruck von Sadie hatte gestimmt; sie war nicht ganz richtig im Kopf, hatte wahrscheinlich nicht mal einen Bruder. Sein Onkel würde sie früher oder später finden; sie konnten sich nicht ewig hier oben verstecken. Er sollte nach Sydney gehen, wo ihn niemand kannte. Er musste verschwinden und bereute, dass er versprochen hatte, hier auf Sadies Bruder zu warten. Die Worte seiner Mutter fielen ihm ein: Das ist eine schreckliche Liebe. Ganz schrecklich .
    Er entdeckte das Grab von Sadies Mutter Edna. Auf dem Grabhügel stand ein schlichtes weißes Kreuz mit ihrem Todesdatum – 1 . Februar 1919 , ein paar Wochen, bevor er nach Australien zurückgekehrt war. Arme Sadie. Es war furchtbar, so allein zu sein.
    Er machte Sarahs Grab ausfindig und nahm einen Zweig weg, der auf ihren Grabstein gefallen war. Er berührte die Stelle, an der das schorfige Kreuz seine Brust zierte. Unter dem Hemd spürte er die feine Spur, zusammen mit denen der anderen, frischeren Wunden. Sein Blick fiel auf etwas, das neben dem Grabstein im Gras lag, und er bückte sich, um es näher zu betrachten. Eine weiße Muschel, so groß wie eine Weintraube. Sie war ein Dutzend Mal mit einem Baumwollfaden umwickelt, der vielleicht mal rot gewesen, doch inzwischen zu einem so fahlen Rosa verblasst war, dass man es kaum noch als Farbe bezeichnen konnte. Bestimmt hatte Sadie sie hier zurückgelassen. Die Muschel war schön und ergreifend, ein winziges Ding, von einem Mädchen geweiht. Diese Talismane, die sie anfertigte, um mit ihrer Hilfe von einer Welt in die andere hinüberwechseln zu können, waren völlig nutzlos. Mit Glaube, Fantasie und Liebe konnte man vermutlich alles in etwas Bedeutsames verwandeln. Er hob die Muschel auf.
    Quinn erinnerte sich, dass er im Krieg gesehen hatte, wie ein junger Soldat namens Shaw sich eine Muschel vors Gesicht hielt und ihren Geruch einatmete. Auf Nachfrage sagte man ihm, der Junge habe sie von seinem Geburtsort in Westaustralien mitgebracht und behaupte, er könne in der Muschel den Duft des Strandes riechen, an dem er am Abend vor seinem Eintritt in die Armee geschwommen sei. Keiner machte sich über den Jungen lustig; die Umstände des Krieges ermöglichten den Männern ungewöhnliche Verhaltensweisen, von denen nicht alle barbarisch waren. Damals hatte Quinn das Ganze abstrus gefunden, aber

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