Berg der Legenden
Lillian-Gish-Films wird.«
Sie startete den Motor, legte den ersten Gang ein und fuhr vorsichtig durch die Menge. Doch sie brauchten noch einmal zwanzig Minuten, bis sie endlich in den zweiten Gang schalten und die tobende Menge hinter sich lassen konnte, und selbst dann klopfte ein letzter Bewunderer auf die Motorhaube und rief: »Gut gemacht, Sir!«
»Was soll der ganze Trubel?«, fragte George und sah durch das Rückfenster, dass einige Leute sie weiterhin verfolgten.
»Du kannst es natürlich nicht wissen, aber seit dem Tag, an dem du aufgebrochen bist, verfolgt die Presse jeden deiner Schritte, und während der letzten sechs Monate haben sie aus dir so etwas wie einen Nationalhelden gemacht.«
»Aber ich habe es nicht geschafft«, sagte George. »Ist das denn niemandem aufgefallen?«
»Es scheint ihnen nichts auszumachen. Die Tatsache, dass du bei Odell geblieben bist, nachdem er zusammengebrochen ist, und Finch hast weitergehen lassen, regt die Phantasie der Öffentlichkeit an.«
»Aber Finchs Name steht jetzt im Buch der Rekorde – er ist mindesten einhundert Meter höher gestiegen als ich.«
»Allerdings nur mit Hilfe von Sauerstoff«, sagte Ruth. »Auf jeden Fall glaubt die Presse, dass du viel höher geklettert wärst als Finch, wenn du die Gelegenheit gehabt hättest – vielleicht sogar bis ganz nach oben.«
»Nein, an dem Tag wäre ich nicht sehr viel höher gekommen als Finch.« George schüttelte den Kopf. »Und weil ich beweisen wollte, dass ich besser bin als er, mussten sieben gute Männer ihr Leben lassen. Einer von ihnen hätte neben mir auf dem Gipfel stehen können.«
»Aber von den Bergsteigern haben doch wohl alle überlebt?«, fragte Ruth.
»Er gehörte nicht zu den offiziellen Bergsteigern«, erklärte George. »Aber ich hatte bereits beschlossen, dass er und Somervell mich beim Gipfelaufstieg begleiten sollten.«
»Ein Sherpa?«, fragte Ruth und konnte ihre Überraschung nicht verbergen.
»Ja. Sherpa Nyima. Ich habe seinen Familiennamen nie erfahren.« George schwieg eine Weile, ehe er hinzufügte: »Aber ich weiß, dass ich seinen Tod zu verantworten habe.«
»Niemand gibt dir die Schuld für das, was geschehen ist«, sagte Ruth und ergriff seine Hand. »Du wärst doch niemals an diesem Morgen aufgebrochen, wenn du auch nur einen Moment daran gedacht hättest, dass eine Lawine abgehen könnte.«
»Aber genau darum geht es«, sagte George. »Ich hab nicht nachgedacht. Ich habe zugelassen, dass mein persönlicher Ehrgeiz meine Urteilskraft trübt.«
»Dein letzter Brief ist übrigens erst heute Morgen angekommen«, sagte Ruth, um das Thema zu wechseln.
»Und wo bin ich gerade?«
»In einem kleinen Zelt 7620 Meter über dem Meeresspiegel, und du hast Finch erklärt, warum du nicht daran denkst, Sauerstoff zu verwenden.«
»Wenn ich seinen Rat angenommen hätte, hätte ich den Gipfel vielleicht erreicht.«
»Was sollte dich davon abhalten, es noch einmal zu versuchen?«, sagte Ruth.
»Niemals!«
»Nun, ich kenne jemanden, der sehr erfreut sein wird, das zu hören«, sagte sie und versuchte, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen.
»Du, Liebes?«
»Nein, Mr Fletcher. Er rief mich heute Morgen an und fragte, ob du morgen um zehn Uhr kurz bei ihm vorbeischauen könntest. Er habe etwas mit dir zu besprechen.«
»Ja, natürlich«, sagte George. »Ich kann es kaum abwarten, wieder zur Arbeit zu gehen. Ich weiß, du wirst es nicht glauben, aber ich habe sogar die fünfte Klasse vermisst, und, was noch wichtiger ist, ich muss wieder Geld verdienen. Der Himmel weiß, dass wir die Großzügigkeit deines Vaters nicht ewig ausnützen können.«
»Ich habe nie gehört, dass er sich beschwert hätte«, sagte Ruth. »Im Gegenteil, er ist sehr stolz auf das, was du erreicht hast. Er wird nicht müde, all seinen Freunden im Golfclub zu erzählen, dass du sein Schwiegersohn bist.«
»Darum geht es nicht, Liebste. Ich muss rechtzeitig am ersten Schultag wieder hinter meinem Schreibtisch sitzen.«
»Vollkommen unmöglich«, sagte Ruth.
»Aber warum?«
»Weil das Trimester letzten Montag angefangen hat«, erwiderte Ruth lächelnd. »Was ohne Zweifel der Grund ist, weshalb der Schuldirektor dich unbedingt sehen will.«
»Jetzt erzähle mir von unserem Sohn«, sagte George.
***
Als sie endlich, sechs Stunden später, durch das Tor von The Holt fuhren, sagte George: »Bitte, fahr langsamer. Von diesem Moment habe ich in den letzten zwei Monaten geträumt.«
Sie hatten die
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