Berg der Legenden
die Tür erneut geöffnet. »Der Direktor empfängt Sie jetzt«, sagte sie.
»Danke«, wiederholte George und ging in Mr Fletschers Studierzimmer. Miss Sharpe schloss die Tür hinter ihm.
»Guten Morgen, Mallory«, sagte der Schuldirektor, während er hinter seinem Schreibtisch aufstand. »Sehr freundlich von Ihnen, dass Sie so pünktlich sind.«
»Nicht der Rede wert, Mr Fletcher«, sagte George. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schön es ist, wieder hier zu sein«, fügte er hinzu und setzte sich.
»Gestatten Sie mir«, sagte der Direktor, »Ihnen zunächst zu Ihren Erfolgen in den letzten sechs Monaten zu gratulieren. Selbst wenn man die Neigung der Presse zu Übertreibungen in Betracht zieht, sind wir alle der Meinung, dass Sie es mit ein wenig mehr Glück ohne Zweifel bis ganz nach oben geschafft hätten.«
»Vielen Dank, Mr Fletcher.«
»Und ich bin sicher, dass ich für jedermann an der Schule spreche, wenn ich Ihnen sage, dass ich nicht daran zweifle, dass Sie nächstes Mal Ihr Ziel erreichen werden.«
»Es wird kein nächstes Mal geben«, erwiderte George. »Ich kann Ihnen versichern, dass meine Zeit als Bergsteiger vorüber ist.«
»Sie werden indes einsehen, Mallory«, fuhr der Direktor fort, als hätte er ihn nicht gehört, »dass die Führung einer Lehranstalt wie Charterhouse es erforderlich macht, sich jederzeit auf alle Mitglieder des Lehrkörpers verlassen zu können.«
»Selbstverständlich, Mr Fletcher, aber …«
»Ihre Entscheidung, zur Armee zu gehen, obwohl Sie vom Dienst befreit waren, hat – obgleich sie für sich genommen vorbildlich war – den Stundenplan der Schule erheblich gestört, wie ich seinerzeit bereits klargestellt hatte.«
»Das haben Sie in der Tat, Mr Fletcher, aber …«
»Ihre Entscheidung – an der es in meinen Augen nichts auszusetzen gab –, die Einladung des Mount-Everest-Komitees anzunehmen, hat sogar für noch größere Störungen an dieser Schule gesorgt, insbesondere, da Sie erst kurz zuvor zum Oberlehrer für Geschichte befördert worden waren.«
»Das tut mir aufrichtig leid, Mr Fletcher, aber …«
»Wie Sie wissen, musste ich Mr Atkins einstellen, um Sie während Ihrer Abwesenheit zu vertreten, und ich muss sagen, dass er seinen Aufgaben mit vorbildlicher Sorgfalt und Kompetenz gerecht geworden ist und einen unerschütterlichen Einsatz für die Schule an den Tag gelegt hat.«
»Es freut mich, das zu hören, Mr Fletcher, aber …«
»Ich muss außerdem feststellen, Mallory, dass ich, als Sie am ersten Tag des Trimesters nicht hier waren – was ohne Zweifel nicht Ihre eigene Schuld ist –, kaum eine andere Wahl hatte, als Atkins eine unbefristete Stelle als vollwertiges Mitglied des Lehrkörpers anzubieten, was ipso facto bedeutet, dass es bedauerlicherweise zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Chartehouse keinen Posten für Sie gibt.«
»Aber …«, stotterte George, bemüht, sich seine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen.
»Ich hege keinerlei Zweifel, dass viele unserer führenden Lehranstalten gerne die Gelegenheit am Schopfe packen und Mallory of Everest in ihre Reihen aufnehmen würden. In der Tat, wenn ich einen Geschichtslehrer verlöre, gehörten Sie zu den Ersten, die ich zu einem Bewerbungsgespräch bäte.«
George versuchte nicht länger, ihn zu unterbrechen. Er hatte das Gefühl, der unbarmherzige Wind des Everest würde ihm direkt ins Gesicht wehen.
»Lassen Sie mich Ihnen versichern, Mallory, dass Sie Charterhouse mit dem Respekt und der Zuneigung sowohl des Lehrkörpers als auch der Schüler verlassen. Unnötig zu betonen, dass ich Ihnen gerne ein Empfehlungsschreiben ausstelle, in dem ich bestätige, was für ein geschätztes Mitglied des Lehrkörpers Sie waren.«
George schwieg.
»Es tut mir leid, dass es so enden musste, Mallory, aber gestatten Sie mir, im Namen des Vorstands und von uns allen hier in Charterhouse, hinzuzufügen, dass wir Ihnen für die Zukunft alles Gute wünschen, wofür auch immer Sie sich entscheiden. Sollte es sich herausstellen, dass dies ein weiterer Vorstoß zum Everest ist, werden unsere Gedanken und Gebete bei Ihnen sein.«
Mr Fletcher stand hinter seinem Schreibtisch auf. George erhob sich ebenfalls, schüttelte dem Schuldirektor pflichtschuldig die Hand, nahm sein Barett ab und verließ das Studierzimmer ohne ein weiteres Wort.
***
Ruth las gerade in der Times über ihren Gatten, als das Telefon klingelte. Nur ihr Vater rief jemals um diese Tageszeit an.
»Hallo«,
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