Berg der Legenden
sagte sie heiter, als sie den Hörer abnahm, »Bist du das, Daddy?«
»Nein, Mrs Mallory. Hier ist Hinks von der RGS.«
»Guten Morgen, Mr Hinks«, sagte sie, und der Tonfall ihrer Stimme änderte sich von einer Sekunde auf die andere. »Es tut mir leid, aber mein Gatte ist nicht hier, ich erwarte ihn erst am Abend zurück.«
»Das freut mich zu hören, Mrs Mallory, denn ich hatte gehofft, ungestört mit Ihnen sprechen zu können.«
Ruth hörte aufmerksam zu, was Mr Hinks zu sagen hatte, und versicherte ihm anschließend, dass sie darüber nachdenken und ihn ihre Entscheidung wissen lassen würde. Sie hatte sich gerade wieder ihrer Zeitungslektüre zugewandt, als sie hörte, wie die Eingangstür geöffnet wurde. Sie täuschte Überraschung vor, als George in den Salon stapfte und sich ihr gegenüber auf das Sofa fallen ließ.
»So schlimm?«, sagte sie vorsichtig.
»Es könnte kaum schlimmer sein«, sagte er. »Der verdammte Kerl hat mich gefeuert. Ich scheine so unzuverlässig zu sein, dass er meine Stelle Atkins angeboten hat, der, wie er mir versicherte, sorgfältig, gewissenhaft und, was noch wichtiger ist, verlässlich ist. Kannst du dir das vorstellen?«
»Ja, durchaus«, sagte Ruth. »Ich kann noch nicht einmal so tun, als sei ich sonderlich überrascht«, fügte sie hinzu, faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Beistelltisch.
»Wieso sagst du das, Liebes?«, fragte George und musterte sie aufmerksam.
»Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, weil der Direktor dich um zehn Uhr sehen wollte.«
»Warum sollte das eine Rolle spielen?«
»Weil das gesamte Leben dieses Mannes vom Stundenplan beherrscht wird. Wenn alles gut gewesen wäre, Liebster, hätte er uns beide zu sechs Uhr abends auf einen Drink eingeladen. Oder er hätte euer morgendliches Treffen für acht Uhr anberaumt, damit du ihn triumphierend zur Morgenandacht hättest begleiten können.«
»Und warum hat er mich um zehn zu sich gebeten?«
»Weil zu dieser Zeit alle Schüler und Lehrer sicher in ihren Unterrichtsräumen sitzen, so dass du das Gelände betreten und verlassen konntest, ohne dass jemand die Gelegenheit gehabt hätte, mit dir zu sprechen. Er muss den ganzen Ablauf minutiös geplant haben.«
»Brillant«, sagte George. »Du würdest eine erstklassige Detektivin abgeben. Hast du irgendeine Ahnung, was als Nächstes auf mich zukommt?«
»Nein«, gab Ruth zu. »Aber während du fort warst, habe ich einen Anruf von Mr Hinks erhalten.«
»Ich hoffe, du hast ihm klargemacht, dass ich für keinen Posten in der Expedition nächstes Jahr zur Verfügung stehe.«
»Deshalb rief er nicht an«, sagte Ruth. »Anscheinend bittet die American Geographical Society dich, eine Vortragsreise an der Ostküste zu unternehmen – Washington, New York, Boston …«
»Auf gar keinen Fall«, sagte George. »Ich bin gerade erst nach Hause gekommen. Warum sollte ich schon wieder aufbrechen wollen?«
»Vielleicht, weil sie bereit sind, dir eintausend Pfund für ein halbes Dutzend Vorträge über deine Erfahrungen bei der Besteigung des Everest zu zahlen?«
»Eintausend Pfund?«, sagte George. »Aber das ist mehr, als ich in Charterhouse in drei Jahren verdient habe.«
»Nun, um genau zu sein«, sagte Ruth, »die AGS glaubt, dass diese Vorträge sogar zweitausend Pfund einbringen werden, aber die RGS ist bereit, mit dir fifty-fifty zu machen.«
»Wie außerordentlich großzügig von Hinks«, sagte George. »Und was hast du ihm gesagt?«
»Ich sagte, ich würde mit dir darüber reden und ihn dann deine Entscheidung wissen lassen.«
»Aber warum hat er zuerst dich angerufen? Warum wollte er nicht mit mir sprechen?«
»Er hat mir vorgeschlagen, dich auf der Reise zu begleiten.«
»Dieser gerissene, alte Teufel«, sagte George. »Er weiß, dass das das Einzige ist, mit dem er mir die Sache schmackhaft machen kann.«
»Aber mir nicht«, sagte Ruth.
»Aber warum nicht, Liebes? Du wolltest doch immer schon die Staaten besuchen, und wir könnten daraus zweite Flitterwochen machen.«
»Ich wusste, dass dir irgendwelche Gründe einfallen würden, warum ich zustimmen sollte, und Mr Hinks wusste es offensichtlich auch. Aber du scheinst vergessen zu haben, dass wir drei Kinder haben.«
»Kann das Kindermädchen sich nicht um sie kümmern, während wir weg sind?«
»George, die Mädchen haben dich sechs Monate nicht gesehen, und John weiß nicht einmal, wer du bist. Und jetzt, kaum dass sein Vater zurückgekommen ist, soll dieser
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