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Berg der Legenden

Berg der Legenden

Titel: Berg der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Archer
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sie sich einen einfachen Keks und einen Becher Tee gönnten, ehe sie sich erneut in Bewegung setzten. Das Wetter konnte zum Bergsteigen nicht besser geeignet sein, bis auf einen kurzen Schneeschauer, der nicht einmal ein Kind vom Schneemannbauen abgelenkt hätte, und sie behielten ein gleichmäßiges Tempo bei. George fragte sich, wie lange das Wetter so sanftmütig bleiben würde.
    Er betete. Seine Gebete wurden nicht erhört.

56
    17. Mai 1924
    Meine geliebte Ruth,
    Katastrophe. Seit zwei Wochen klappt nichts mehr richtig. Das Wetter war so miserabel, dass der unbarmherzige, heftige Schneefall es an manchen Tagen unmöglich machte, mehr als wenige Meter weit zu sehen.
    Norton, stets kühn wie ein Löwe, kam irgendwie bis 7130 Meter, wo er mit Somervell Lager IV aufbaute und die Nacht dort verbrachte. Doch am folgenden Tag schafften es die beiden gerade noch vor Anbruch der Dämmerung zurück. In dem Schneegestöber brauchten sie für 730 Meter bergab mehr als acht Stunden. Denk nur einmal – das ist eine Durchschnittsgeschwindigkeit von hundert Metern pro Stunde, eine Strecke, die Harold Abrahams in 10,6 Sekunden zurücklegt.
    Am nächsten Tag erreichten Odell, Bullock und ich 7710 Meter und schafften es irgendwie, Lager V auf einem vereisten Felsvorsprung zu errichten. Doch nachdem wir die Nacht dort verbracht hatten, ließ uns das Wetter keine andere Wahl, als wieder hierher ins Lager III zurückzukehren. Als wir ankamen, empfing Dr. Hingston mich mir der Nachricht, dass einer der Sherpas sich das Bein gebrochen hat, während bei einem anderen der Verdacht auf Lungenentzündung besteht. Ich behelligte ihn nicht damit, dass mein Knöchel mal wieder Ärger macht. Guy und Odell meldeten sich freundlicherweise freiwillig, um die Kranken hinunter ins Basislager zu begleiten, von wo aus man sie zurück in ihre Dörfer bringen wird.
    Als Guy am nächsten Tag zurückkehrte, berichtete er, dass unser Schuster an seinen Erfrierungen gestorben ist, sich bei einem Gurkha-Unteroffizier ein Blutgerinnsel im Gehirn gebildet hat, und zwölf weitere Sherpas davongelaufen sind. Wer kann ihnen deshalb einen Vorwurf machen, bei einem Lohn von umgerechnet weniger als einem Shilling pro Woche? Offensichtlich ist die Stimmung im Basislager ziemlich im Keller. Was stellen die sich vor, wie es erst hier oben aussieht?
    ***
    Norton und Somervell haben endlich nach drei weiteren Versuchen erneut den Nordsattel erreicht und es sogar geschafft, dort zu übernachten, obwohl die Temperatur –31 °C betrug. Doch auf dem Rückweg verloren vier Sherpas die Nerven und machten aus Furcht vor einer Lawine kehrt, um eine zweite Nacht auf dem Nordsattel zu verbringen.
    Am nächsten Morgen bildeten Norton, Somervell und ich einen Rettungstrupp und schafften es irgendwie, zu den Sherpas zu gelangen und sie zurück in die relative Sicherheit von Lager III zu bringen. Ich wette, wir haben sie zum letzten Mal gesehen.
    Als sei das noch nicht genug, hat unser Meteorologe mich heute Morgen beim Frühstück darüber informiert, dass seiner Ansicht nach die Monsunzeit demnächst beginnt. Allerdings erinnerte er mich daran, dass beim letzten Mal dem Monsun drei Tage klaren Wetters vorangegangen waren. Das ist kaum ein Muster, auf das man sich verlassen kann, aber es hielt mich nicht davon ab, ein Gebet an irgendeinen Gott, der für das Wetter zuständig ist, zu schicken.
    ***
    George hätte es kommen sehen müssen, aber er war so von dem Verlangen besessen, noch eine einzige, letzte Chance zu bekommen, dass er nicht mehr wahrnahm, was um ihn herum geschah. Zumindest nicht, bis Norton einen Kriegsrat einberief.
    »Gentlemen«, sagte Norton, »ich denke, unter den gegebenen Umständen wäre es für uns alle das Beste, den Schaden zu begrenzen und umzukehren, ehe wir noch jemanden verlieren.«
    »Das sehe ich nicht so«, sagte George ohne Umschweife. »Wenn wir das machen, hätten wir sechs Monate unseres Lebens geopfert, ohne irgendetwas vorweisen zu können.«
    »Aber zumindest würden wir dann noch leben und einen weiteren Versuch wagen können«, sagte Somervell.
    »Niemand von uns wird die Gelegenheit haben, es noch einmal zu versuchen«, sagte George knapp. »Dies ist unsere letzte Chance, Somervell, und das wissen Sie.«
    Somervell war im ersten Moment verblüfft von Georges Heftigkeit, und es dauerte eine Zeit, ehe er antwortete. »Aber zumindest würden wir leben«, brachte er schließlich hervor.
    »Das ist nicht meine Vorstellung von Leben«,

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