Berg der Legenden
anzumelden«, sagte George, ehe Guy den Satz zu Ende bringen konnte.
Sowohl George als auch Guy meldeten sich für einen Wochenendausflug nach Wales an und reichten ihre Formulare dem größeren der beiden Männer hinter dem Tisch.
»Ich bin Somervell«, sagte dieser, »und das ist Odell. Er ist ein guter Geologe, deshalb interessiert er sich eher dafür, die Felsen zu untersuchen als sie zu besteigen. Der Bursche dahinten«, fügte Somervell hinzu und deutete auf einen älteren Mann, »ist Geoffrey Winthrop Young vom Alpine Club. Er ist unser Ehrenvorsitzender.«
»Der fähigste Bergsteiger des Landes«, sagte George.
Young lächelte, als er Georges Anmeldeformular studierte. »Graham Irving neigt zu Übertreibungen«, sagte er. »Aber er hat mir bereits geschrieben, um mir von Ihrem jüngsten Ausflug in die Alpen zu berichten. Wenn wir in Pen-y-Pass sind, werden Sie Gelegenheit haben zu zeigen, ob Sie so gut sind, wie er behauptet.«
»Er ist besser«, sagte Guy. »Irving hat bestimmt nicht unseren Besuch in Paris erwähnt, wo … ahhhh«, schrie er, als Georges Absatz sein Schienbein traf.
»Habe ich die Chance, bei Ihrer Fahrt zum Montblanc im nächsten Sommer dabei zu sein?«, fragte George.
»Das könnte schwierig werden«, sagte Young. »Es gibt noch ein oder zwei andere Burschen, die hoffen, für die Tour ausgewählt zu werden.«
Somervell und Odell zeigten jetzt ein wesentlich größeres Interesse an dem Neuling vom Magdalene College. Die beiden jungen Männer hätten sich nicht unähnlicher sein können. Odell war gerade mal einen Meter fünfundsechzig groß, mit sandfarbenem Haar, rötlicher Gesichtsfarbe und wässrig-blauen Augen. Für einen Studenten wirkte er zu jung, aber sobald er sprach, klang er älter, als er aussah. Somervell dagegen war mindestens einen Meter achtzig groß, hatte dunkles, widerspenstiges Haar, das aussah, als schließe es nur selten Bekanntschaft mit einem Kamm. Er hatte die dunklen Augen eines Piraten, doch wenn man ihm eine Frage stellte, senkte er den Kopf und sprach mit leiser Stimme – nicht aus Zurückhaltung, sondern weil er schlicht zu schüchtern war. Instinktiv wusste George, dass diese beiden ungleichen Männer für den Rest ihres Lebens Freunde bleiben würden.
Samstag, 23. Juni 1906
Als sein Vater George fragte, was er in seinem ersten Jahr in Cambridge erreicht hatte, antwortete er, dass es weit mehr gewesen sei als das magere Third Class , mit der seine Abschlussarbeit zum Trimesterende benotet worden war.
»Könnte es sein, dass du dich zu sehr im Freien beschäftigst«, machte sein Vater ihm Vorhaltungen, »mit Aktivitäten, von denen keine dir besonders nützlich sein wird, wenn es darum geht, dich für einen Beruf zu entscheiden?« Daran hatte George noch kaum einen Gedanken verschwendet. »Ich muss dich ja wohl nicht daran erinnern, mein Junge«, fügte sein Vater hinzu und tat es dann doch, »dass ich nicht über die notwendigen Mittel verfüge, damit du den Rest des Lebens als Gentleman im Müßiggang verbringen kannst.« Eine Ansicht, die Reverend Mallory seit Georges erstem Tag in der Privatschule mehr als deutlich dargelegt hatte.
George war sicher, dass Guy keine derartige Unterhaltung mit seinem Vater führte, obgleich er nur mit Mühe und Not ein Third Class geschafft hatte. Er kam zu dem Schluss, dass jetzt nicht der beste Zeitpunkt war, seinem Vater mitzuteilen, dass er, falls er zu den Glücklichen gehörte, die ausgewählt wurden, Geoffrey Young auf seiner Bergtour in die Alpen zu begleiten, in diesem Sommer eine Exkursion nach Italien unternehmen würde.
Anders als Guy schämte George sich, nur ein Third Class erreicht zu haben. Mr Benson hatte ihm allerdings versichert, dass er ein Grenzfall gewesen sei und beinahe ein Second Class erreicht hätte, und dann noch hinzugefügt, dass er, wenn er sich in den nächsten zwei Jahren etwas mehr anstrengen würde, durchaus einen Second-Class- Abschluss erlangen könnte. Und wenn er bereit wäre, Opfer zu erbringen, läge sogar ein First-Class -Abschluss im Bereich des Möglichen.
George überlegte, welche Opfer Mr Benson gemeint haben könnte. Er war immerhin in das Komitee der Fabian Society gewählt worden, wo er mit George Bernard Shaw und Ramsey MacDonald zu Abend gespeist hatte. Er traf sich regelmäßig mit Rupert Brooke, Lytton Strachey, Geoffrey und John Maynard Keynes sowie Ka Cox, die allesamt Mr Bensons Billigung fanden. Er hatte in Brookes Inszenierung von Marlowes Doctor
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