Berg der Legenden
Faustus den Papst gespielt – wobei George der Erste war, der zugab, dass die Kritiken nicht besonders schmeichelhaft ausgefallen waren. Er hatte sogar mit einer Abschlussarbeit über Boswell angefangen, von der er hoffte, sie eines Tages veröffentlichen zu können. Aber all das war nur nebensächlich gewesen im Vergleich zu seinen Bemühungen, in den Alpine Club aufgenommen zu werden. Erwartete Mr Benson von ihm, alles aufzugeben, um das begehrte First Class zu erreichen?
10
George Mallory war noch niemals mit jemandem geklettert, den er für ebenbürtig gehalten hätte, doch dann lernte er George Finch kennen.
Während der Ferien zu Michaelis war George nach Wales gereist, um Geoffrey Young zu einem Trainingslager des Cambridge Bergsteiger Clubs in Pen-y-Pass zu begleiten. Jeden Tag stellte Young die Seilschaften für die morgendliche Bergtour zusammen, und Odell und Somervell stiegen rasch in Georges Hochachtung, denn sie waren nicht nur ausgesprochen angenehme Begleiter, sondern schafften es zudem, selbst bei anspruchsvolleren Routen mit ihm Schritt zu halten.
Am Donnerstagmorgen sollte George mit Finch zusammen über den Gebirgskamm von Crib Goch, Crib-y-Ddysgl, Snowdon und Lliwedd gehen. Als die beiden Männer den Snowdon erklommen und wieder hinabstiegen, wobei sie oft auf allen vieren kriechen mussten, wurde sich George schmerzlich bewusst, dass der junge Australier nicht ruhen würde, ehe er nicht jeden anderen hinter sich zurückgelassen hatte.
»Das ist kein Wettkampf«, sagte George, sobald sie die restlichen Bergsteiger hinter sich gelassen hatten.
»Oh doch«, sagte Finch, ohne sein Tempo zu drosseln. »Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass Young nur zwei Leute zu dieser Tour eingeladen hat, die nicht aus Oxford oder Cambridge kommen?« Er schwieg, um tief Luft zu holen, ehe er ausspie: »Und der andere ist eine Frau.«
»Das ist mir noch gar nicht aufgefallen«, gab George zu.
»Falls ich auch nur die geringste Hoffnung haben will, diesen Sommer von Young in die Alpen eingeladen zu werden«, blaffte Finch, »darf ich ihn keinesfalls im Zweifel lassen, wer der beste Bergsteiger unter all diesen Möchtegern-Bewerbern ist.«
»Ach, tatsächlich?«, sagte George als er sein Tempo beschleunigte und seinen ersten Rivalen überholte.
Als sie den Weg über den Snowdon Horseshoe einschlugen, war Finch wieder neben ihm. Beide Männer atmeten schwer, als sie beinahe den Hügel hinunterrannten. George drosselte sein Tempo, damit Finch ihn überholen konnte, gerade als das Pen-y-Pass-Hotel in Sichtweite kam.
»Sie sind gut, Mallory, aber sind Sie auch gut genug?«, sagte Finch, nachdem George für beide ein Glas Bitter bestellt hatte. Sie waren bereits bei ihrem zweiten Glas, als Odell und Somervell sich zu ihnen gesellten.
Ein paar Monate später verbesserten die beiden Rivalen in Cornwall ihre Geschicklichkeit im Felsklettern, doch wann immer man Young fragte, wen er für den Besseren hielt, verweigerte dieser jede Antwort. Allerdings würde Young, sobald sie im Sommer die Flanken der italienischen Alpen erreichten, entscheiden müssen, wer ihn im Courmayeur-Tal bei der anspruchsvollen Besteigungen des Montblanc begleiten sollte.
Unter den anderen Bergsteigern, die regelmäßig an diesen Ausflügen nach Wales und Cornwall teilnahmen, war eine Person, mit der George gerne mehr Zeit verbracht hätte. Ihr Name war Cottie Sanders. Als Tochter eines wohlhabenden Industriellen hätte sie ohne Zweifel in Cambridge studieren können, wenn ihre Mutter dies als eine angemessene Beschäftigung für eine junge Dame erachtet hätte. George, Guy und Cottie bildeten regelmäßig eine Dreierseilschaft für die Morgentour, aber sobald sie an den tieferen Hängen ihr Lunch verspeist hatten, bestand Young darauf, dass George sie allein ließ und sich für die anspruchsvolleren Nachmittagstouren Finch, Somervell und Odell anschloss.
Man konnte Cottie nicht im herkömmlichen Sinne schön nennen, aber George hatte die Gesellschaft einer Frau selten mehr genossen. Sie war nur knapp einen Meter fünfzig groß, und falls sie von gefälliger Gestalt war, so verbarg sie dies entschlossen unter mehreren Schichten Pullovern und Reithosen. Ihr mit Sommersprossen übersätes Gesicht und das lockige braune Haar verliehen ihr das Aussehen eines Wildfangs. Aber das war es nicht, was George an ihr reizte.
Georges Vater verwies in seinen Morgenandachten häufig auf die »innere Schönheit«, und ehe er Cottie kennengelernt hatte,
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