Berg der Legenden
Herausforderung – vorausgesetzt, das Wetter hielt sich.
***
Als die Standuhr im Hotel sieben schlug, klopfte der Ehrenvorsitzende des CUMC mit einem Löffel an sein Glas. Der Rest des Komitees kam zur Ruhe.
»Punkt eins«, sagte Geoffrey Young und warf einen Blick auf seine Tagesordnung, »die Wahl eines neuen Mitglieds. Mr George Leigh Mallory wurde von Mr Somervell vorgeschlagen, Mr Odell unterstützt den Vorschlag.« Er blickte auf. »Wer ist dafür?« Fünf Hände gingen in die Höhe. »Einstimmig angenommen«, sagte Young, und ein leiser Applaus kam auf – was er nie zuvor erlebt hatte. »Hiermit erkläre ich George Leigh Mallory zum gewählten Mitglied des CUMC.«
»Vielleicht sollte jemand ihn suchen gehen«, sagte Odell, »und ihm die gute Neuigkeit mitteilen?«
»Falls Sie hoffen, Mallory zu finden, sollten Sie besser Ihre Bergstiefel anziehen«, sagte Young ohne weitere Erläuterungen.
»Ich weiß, dass er kein Cambridge-Mann ist«, sagte Somervell, »aber ich schlage vor, dass wir George Finch die Ehrenmitgliedschaft im Club anbieten. Immerhin ist er ein ausgezeichneter Bergsteiger.«
Niemand schien willens zu sein, diesen Vorschlag zu unterstützen.
***
George strich ein Streichholz an und zündete den kleinen Primus-Kocher an. Die zwei Männer in dem Zelt saßen sich im Schneidersitz gegenüber und wärmten sich die Hände, während sie darauf warteten, dass das Wasser kochte – eine lange Prozedur, wenn man sich auf halber Höhe eines Berges befand. George stellte zwei Becher auf den Boden, während Finch einen Riegel Kendal Mint Cake auspackte, ihn in der Hälfte durchbrach und seinem Seilpartner ein Stück reichte.
Gestern hatten sie beide zusammen auf dem Gipfel des Mont Maudit gestanden und zum Montblanc emporgestarrt, lediglich 600 Meter über ihnen, und sich gefragt, ob sie morgen wohl von seinem Gipfel herunterblicken würden.
George sah auf die Uhr. Fünf nach halb acht. Inzwischen würde Geoffrey Young dem Rest der Gruppe das morgige Programm erläutern und ihnen mitteilen, wer ihn auf dem Gipfelaufstieg begleiten würde. Das Wasser kochte.
***
»Dies war eine recht bemerkenswerte Bergsteiger-Woche«, fuhr Young fort. »Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass es eine der bemerkenswertesten in meiner Laufbahn war, was meine Entscheidung, wer mich morgen beim Gipfelaufstieg begleiten soll, nur noch schwieriger macht. Ich bin mir schmerzlich bewusst, dass mehr als einer von Ihnen seit Jahren auf diese Gelegenheit gewartet hat, aber mehr als einer wird enttäuscht sein. Wie Sie alle sehr wohl wissen, ist es für einen erfahrenen Bergsteiger technisch nicht schwierig, den Gipfel des Montblanc zu erreichen – es sei denn, natürlich, er versucht es vom Courmayeur aus.« Er schwieg.
»Zur Seilschaft werden fünf Männern gehören: Ich selbst, Somervell, Odell, Mallory und Finch. Wir brechen morgen früh um vier Uhr auf, und gehen bis auf 4693 Meter, wo wir zwei Stunden rasten werden. Falls das Wetter, diese kapriziöse Mistress, es uns gestattet, wird die letzte Seilschaft, bestehend aus drei Männern, versuchen, den Gipfel zu erreichen.
Odell und Somervell werden zur Grand-Mulet-Hütte auf 3051 Metern absteigen, wo Somervell auf die Rückkehr der letzten Seilschaft warten wird.«
»Auf die erfolgreiche Rückkehr«, sagte Somervell großmütig, obwohl Odell und er ihre Enttäuschung kaum verbergen konnten, nicht für die Gipfelbesteigung ausgewählt worden zu sein.
»Hoffentlich«, sagte Young. »Ich weiß, wie enttäuscht einige von Ihnen sein müssen, weil sie nicht mit von der Partie sein werden, aber vergessen Sie niemals, dass es ohne die Unterstützer im Hintergrund unmöglich wäre, irgendeinen Berg zu bezwingen, und dass jedes Mitglied der Gruppe dazu beigetragen haben wird. Sollte der morgige Versuch aus irgendeinem Grund fehlschlagen, werde ich Odell und Somervell ein paar Tage später bitten, einen zweiten Versuch mit mir zu wagen.« Die beiden Männer lächelten etwas wehmütig, als hätten sie bei den Olympischen Spielen die Silbermedaille gewonnen. »Weiter bleibt mir nichts zu sagen, außer, wer mich morgen beim Gipfelaufstieg begleiten wird.«
***
George zog einen Handschuh aus, schraubte das Glas Bovril auf und gab je einen Löffel des dickflüssigen, braunen Fleischextrakts in die Becher. Finch goss das heiße Wasser ein und rührte, bis er sicher war, dass nichts mehr am Boden haftete, ehe er George sein Getränk reichte. George brach einen
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