Berg der Legenden
George sich, ob die Turners ihre Ferienpläne vielleicht geändert hatten, doch dann lächelte der Chefportier des San Clemente, ein Engländer, bestätigend, als er den Namen hörte. Allerdings lächelte er danach erst wieder, als George ihm eine Note von hohem Wert zusteckte. Die Gesellschaft der Turners, erklärte er ihm, wohnte nicht im San Clemente, aber sie dinierten gelegentlich dort, und einmal hatten sie ihn gebeten, ihnen ein Vaporetto zurück zu … Er beendete seinen Satz erst, als eine zweite Geldnote der ersten Gesellschaft leistete … zurück zu ihrem Hotel zu rufen. Ein dritter Geldschein lockte den Namen des Hotels aus ihm heraus, das Cipriani, ebenso wie den Namen des Anlegers, an dem das private Wassertaxi seine Gäste absetzte.
George schob seine merklich dünnere Geldbörse zurück in die Jackentasche und machte sich rasch auf den Weg zur Piazza San Marco, von wo aus er die Insel Giudecca sehen konnte, auf der stolz das Hotel Cipriani stand. Alle zwanzig Minuten legte ein Wassertaxi mit dem Namen Cipriani an seinem Bug an. Er trat in den Schatten eines langen Bogenganges, von wo aus er jedes Boot beobachten konnte, wie es seine Fahrgäste ausspie, zuversichtlich, dass ein älterer Gentleman, der von drei jungen Damen begleitet wurde, einfach zu entdecken sein würde. Besonders, wenn der Anblick einer dieser Damen ihm in den vergangenen sechs Wochen kaum aus dem Kopf gegangen war.
Während der nächsten zwei Stunden überprüfte George jeden Fahrgast, der mit dem Wassertaxi von Giudecca kam. Nach einer weiteren Stunde begann er sich zu fragen, ob die Turners vielleicht das Hotel gewechselt hatten. Möglicherweise waren sie in jenes gezogen, das sich geweigert hatte, ihn die Gästeliste sehen zu lassen. Er beobachtete, wie die Cafés um ihn herum sich langsam füllten. Der durchdringenden Duft von frisch gebackenen Panini, Crostini und kochend heißem Kaffee erinnerte ihn daran, dass er noch nicht gefrühstückt hatte. Aber er wagte nicht, seinen Posten zu verlassen, aus Angst, die Familie Turner könnte just in dem Moment ihren Fuß an Land setzen, in dem er sich abwandte. Falls sie bis Mittag nicht aufgetaucht waren, würde er möglicherweise das Risiko eingehen müssen, ein Taxi zur Insel zu nehmen und vielleicht sogar, ihr Hotel zu betreten. Aber wenn er ihnen dort über den Weg liefe, wie sollte er seine Anwesenheit dann erklären? Mr Turner würde wissen, dass George sich von seinem monatliches Salär kaum eine Nacht im Cipriani leisten konnte, egal, wie klein das Zimmer war.
Und dann sah George sie. Sein erster Gedanke war, dass sie sogar noch schöner war, als er sie in Erinnerung hatte. Sie trug ein langes, gelbes Seidenkleid mit hoher Taille und einem breiten, roten Band direkt unter dem Busen. Ihr welliges, kastanienrotes Haar fiel ihr über die Schultern, und mit einem weißen Sonnenschirm schützte sie sich vor der Morgensonne. Wenn man ihn gefragt hätte, was Marjorie und Mildred trugen, wäre er eine Antwort schuldig geblieben.
Mr Turner kletterte als Erster auf den Anleger. Er trug einen eleganten cremefarbenen Anzug, ein weißes Hemd und eine gestreifte Krawatte. Er hob die Hand, um seinen Töchtern beim Verlassen des Bootes behilflich zu sein. Erleichtert stellte George fest, dass es kein Anzeichen von Andrew gab, der, wie er hoffte, gerade ein Tor in Taunton verteidigte.
Die Turners setzten sich gemächlich in Richtung Piazza San Marco in Bewegung, mit einer Miene, als wüssten sie genau, wohin sie wollten, was augenscheinlich auch der Fall war. Als sie nämlich ein überfülltes Café betraten, geleitete der Oberkellner sie ohne Umschweife zum einzigen freien Tisch. Sobald sie bestellt hatten, vertiefte Turner sich in die gestrige Ausgabe der Times , während Ruth in einem Buch blätterte, bei dem es sich um einen Reiseführer für Venedig zu handeln schien, da sie ihre Schwestern an dem Inhalt teilhaben ließ und gelegentlich auf eine Sehenswürdigkeit hinwies.
Einmal blickte Ruth in seine Richtung, und für einen Moment fragte George sich, ob sie ihn gesehen hatte, obwohl man selten jemanden wahrnahm, nach dem man nicht suchte, besonders, wenn derjenige verborgen im Schatten stand. Geduldig wartete er, bis Mr Turner die Rechnung verlangte. Der nächste Teil seines Plans duldete indes keinen weiteren Aufschub.
In dem Augenblick, in dem die Turners das Café verließen, trat George aus dem Schatten und ging auf die Mitte des Platzes zu. Kein einziges Mal wandte er
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