Berg der Legenden
zusammenzogen, bis sie die Sonne komplett verschleierten. Schließlich kamen sie drei Meilen hinter der Frontlinie in einem ungekennzeichneten Lager an, in dem die Tage zu ewiger Nacht geworden waren. Hier traf George auf eine Gruppe von Männern in Uniform, die sich fragten, ob sie in vierundzwanzig Stunden noch am Leben sein würden.
Nach einem Teller Rinderpastete mit zusammengepappten Bohnen und mit Maden gepickten Kartoffeln wurde George bei drei Offizierskameraden, die allesamt jünger waren als er, im Zelt einquartiert. Sie waren bereits unterschiedlich lange dabei – einen Monat, neun Wochen und sieben Monate. Der Letzte, ein Lieutenant Evans, hielt sich bereit für eine Art Veteran.
Am nächsten Morgen, nachdem George sich sein Frühstück, serviert auf einem Blechteller, hatte munden lassen, wurde er weiter zu einem Artillerieposten etwa vierhundert Meter hinter der vordersten Linie gefahren, wo er Evans ablösen sollte, der längst überfällig für einen vierzehntägigen Heimaturlaub war.
»Es ist nicht allzu übel, Kamerad«, versicherte Evans ihm, »und um einiges verdammt weniger gefährlich als direkt an der Front. Denken Sie nur an diese armen Schweine eine Viertelmeile vor Ihnen. Sie warten auf das Geräusch des Signalhorns, das sie nach vorne treibt, und werden monatelang vom Tod verfolgt. Ihre Aufgabe dagegen ist simpel. Sie befehligen ein Kommando von siebenunddreißig Soldaten sowie zwölf Haubitzen, die selten stillstehen, es sei denn, sie sind kaputt. Der dienstälteste Unteroffizier ist Sergeant Davies. Er ist seit über einem Jahr hier draußen, und davor hat er fünfzehn Jahre unter der Fahne gedient. Er kam als einfacher Soldat im Burenkrieg zur Armee, also denken Sie nicht einmal daran, irgendetwas zu machen, ohne ihn vorher zu fragen. Dann ist da noch Corporal Perkins. Der verdammte Kerl beschwert sich andauernd, aber zumindest lenkt sein kranker Humor die Burschen von den Hunnen ab. Den Rest der Truppe werden Sie schon noch früh genug kennenlernen. Es ist ein feiner Haufen, und sie werden Sie nicht im Stich lassen, wenn es hart auf hart kommt.« George nickte, unterbrach Evans aber nicht. »Die schwerste Entscheidung, die Sie treffen müssen«, fuhr der Mann fort, »stellt sich jeden Sonntagnachmittag, wenn Sie drei Männer für die nächsten sieben Tage zu unserm Vorposten schicken müssen. Ich habe noch nie erlebt, dass alle drei lebend zurückgekehrt wären. Deren Aufgabe ist es, uns darüber zu informieren, was der Feind vorhat, so dass wir unsere Waffen gegen sie anstatt gegen unsere eigenen Truppen richten können.«
»Viel Glück, Mallory«, hatte der junge Lieutenant gesagt, als er ihm später die Hand geschüttelt hatte. »Ich sage Ihnen Lebwohl, für den Fall, dass wir uns nicht wiedersehen.«
5. September 1916
Meine geliebte Ruth,
ich bin ein ganzes Stück hinter der Frontlinie stationiert, so dass es völlig unnötig ist, sich meinetwegen zu ängstigen. Ich habe siebenunddreißig Männer geerbt, die allesamt gute Burschen zu sein scheinen. An einen von ihnen wirst Du Dich vielleicht sogar erinnern – Gefreiter Rodgers. Er war unser Briefträger, bevor er einrückte. Vielleicht solltest Du seine Familie wissen lassen, dass er lebt und dass es ihm hier draußen gutgeht, im Moment sogar ziemlich gut. Er sagt, er will bei der Armee bleiben, wenn der Krieg vorbei ist. Der Rest der Truppe hat mich ganz manierlich willkommen geheißen, was freundlich von ihnen ist, da sie ganz genau wissen, dass ich mich erst vor kurzem verpflichtet habe. Heute Morgen habe ich zum ersten Mal begriffen, was mein Ausbildungsoffizier in ■■■ gemeint hat, als er sagte, eine Woche im Feld wird Ihnen mehr bringen als ein dreimonatiger Ausbildungskurs.
Liebste, ich höre nie auf, an Dich und Clare zu denken, und an die Welt, in der wir unsere Kinder aufwachsen lassen. Hoffen wir, dass die Politiker sich nicht irren, wenn sie sagen, dieser Krieg sei das Ende aller Kriege, denn ich möchte nicht, dass meine Kinder jemals diesen Wahnsinn erleben müssen.
Von keinem wird erwartet, länger als drei Monate am Stück an der Front zu dienen, so dass ich möglicherweise zu Hause bin, wenn Clares Bruder oder Schwester zur Welt kommt.
George hörte auf zu schreiben und dachte über seine Worte nach. Er wusste nur zu gut, dass die königlichen Anweisungen regelmäßig missachtet wurden, wenn es um die Bewilligung von Urlaub ging, doch er musste dafür sorgen, dass Ruth ihren Optimismus nicht
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