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Berge des Wahnsinns: 2 Horrorgeschichten

Berge des Wahnsinns: 2 Horrorgeschichten

Titel: Berge des Wahnsinns: 2 Horrorgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard P. Lovecraft
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eines unheilschwangeren Geheimnisses, die uns beim Anblick dieser Gebirgsbarriere und des lockenden, schillernden Himmels über seinen Gipfeln beschlich, war etwas so Subtiles und Flüchtiges, daß Worte diese Empfindung nicht wiederzugeben vermögen. Sie gehört wohl eher ins Reich psychologischen Symbolismus und ästhetischer Assoziation das Reich exotischer Dichtung und Malerei und archaischer Mythen, die in verbotenen, ängstlich gemiedenen Folianten dahindämmern. Selbst der Ansturm des Windes hatte etwas von einer bewußten Bösartigkeit, und eine Sekunde lang schien es, als sei all dem Heulen und Sausen ein bizarres, melodieartiges Pfeifen mit einem großen Tonumfang unterlegt. Dieses Geräusch des durch die allgegenwärtigen und widerhallenden Höhlen fahrenden Sturms erfüllte uns mit einem Abscheu, der unbewußte Erinnerungen wachrief und genauso komplex und undefinierbar war wie unsere anderen dunklen Empfindungen.

    Unser Höhenmesser zeigte jetzt, nach einem allmählichen Anstieg, eine Höhe von 23570 Fuß an, und wir hatten endgültig die Region der schneebedeckten Hänge unter uns gelassen. Hier oben gab es nur dunkle, kahle Felsabstürze und beginnende spaltenreiche Gletscher doch diese herausfordernden Würfel und Wälle, diese widerhallenden Höhlenöffnungen gaben der Szenerie etwas unheilvoll Unnatürliches, Phantastisches und Traumhaftes. Als ich an der langen Kette hoher Gipfel entlangschaute, glaubte ich den von dem armen Lake erwähnten einzigen Berg zu sehen, der genau auf der Spitze einen Wall trug. Er schien halb in einem sonderbaren antarktischen Nebelschleier verborgen vielleicht hatte Lake einen solchen Nebelschleier anfangs für die Rauchwolke eines Vulkans gehalten. Die Paßhöhe war jetzt direkt vor uns, glatt und vom Wind freigefegt zwischen ihren gezackten, finster aufragenden Eckpfeilern. Dahinter lag ein von brodelnden Dämpfen verhüllter und der tiefstehenden Polarsonne erleuchteter Himmel, der Himmel jenes geheimnisvollen, fernen Reiches, das nie eines Menschen Auge erblickt hatte.
    Noch ein paar Fuß höher, und wir würden dieses Reich vor Augen haben. Danforth und ich konnten uns in dem heulenden, pfeifenden Wind, der über den Paß fegte, und wegen des zusätzlichen ungedämpften Motorenlärms, nur durch laute Zurufe verständigen, aber wir tauschten vielsagende Blicke aus. Und dann, als wir diese letzten paar Fuß überwunden hatten, schauten wir endlich über die gewaltige Barriere hinab auf die nie erblickten Geheimnisse einer uralten, ganz und gar fremdartigen Erde.
    Ich glaube, wir schrien beide gleichzeitig auf, als wir schließlich den Paß überwunden hatten und sahen, was dahinterlag; hin und her gerissen zwischen Ehrfurcht, Staunen und Grauen, glaubten wir, unseren Sinnen nicht trauen zu dürfen. Natürlich müssen wir unbewußt nach irgendeiner natürlichen Erklärung gesucht haben, um den ersten Schock zu überwinden. Vielleicht dachten wir an solche Dinge wie die grotesk verwitterten Steine im Garten der Götter in Colorado oder die phantastisch symmetrischen, vom Wind abgeschliffenen Felsen in der Wüste von Arizona. Vielleicht hielten wir auch alles einen Moment lang für eine Fata Morgana gleich jener, die wir an jenem Morgen unseres ersten Anflugs auf die Berge des Wahnsinns gesehen hatten. Wir mußten uns an solche normale Dinge klammern, als wir unsere Blicke über dieses grenzenlose, vom Sturm verwüstete Tafelland schweifen ließen und das beinahe endlose Labyrinth kolossaler, regelmäßiger und geometrisch eurhythmischer Gesteinsmassen sahen, deren zerbröckelnde und ausgehöhlte Zinnen sich aus einer Eisschicht erhoben, die an den dicksten Stellen nicht stärker als 40 oder 50 Fuß und mancherorts offenbar noch dünner war.

    Die Wirkung dieses ungeheuerlichen Anblicks war unbeschreiblich, denn auf den ersten Blick schien es als offenbare sich hier irgendeine diabolische Perversion aller bekannten Naturgesetze. Hier, auf einem unermeßlich alten Tafelland, in vollen 20 000 Fuß Höhe und einem Klima, das seit einem nicht weniger als 500000 Jahre zurückliegenden, vormenschlichen Zeitalter für alles Leben todbringend sein mußte, erstreckte sich bis fast an den Horizont ein Gewirr regelmäßig geformter Steine, das nur die verzweifelte Furcht, den Verstand zu verlieren, auf etwas anderes als einen bewußten, künstlichen Ursprung zurückzuführen vermochte. Aber hatten wir nicht schon vorher zumindest dann, wenn wir ernsthaft nachgedacht hatten jede

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