Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
Vom Netzwerk:
Leichen zu. Sie lagen auf den Steinplatten in drei Reihen hintereinander. Eine weibliche Leiche, die Beine bis über die Knie bloß. Dünne, unter der Lederdecke leicht angezogene gelbweiße Beine, die Zehen gespreizt und nach oben gestreckt. Marduk bückte sich, einen Fuß zu berühren. Er umfaßte mit der ganzen Hand den Fuß um den Spann, ließ ihn nach einer Weile los; der Fuß war von einer hochsteigenden durchdringenden Kälte. Er verschränkte, sich aufrichtend, die Arme. Ging um die Köpfe der letzten Reihe herum. Ein Mann, dem ein Strohhut über dem Gesicht lag, hatte die Ellbogen seitlich ausgestoßen, als ob er etwas in den Händen hielt und nähte. Marduk faßte einen Ellbogen. Der ließ sich anheben. Und als er ihn stärker aufzog, drehte sich der ganze Mensch an dem Ellbogen auf die Seite, als wäre er ein Stück, rollte losgelassen wieder zurück. Der Hut war von seinem Gesicht gerutscht; ein älterer vollwampiger Mann mit kahlem Schädel; sorgenvoll runzelte er die Stirn, mit dem halboffenen Auge schielte er an seiner Nase herunter; da war seine Oberlippe zerrissen, der blutige Kieferknochen lag splittrig bloß. Als Marduk sich die Hand vom Gesicht nahm, runzelte der alte Mann noch immer die Stirn, schielte.
    Marduk zog das Ledertuch über den Hals hoch. Blendend die Sonne von oben. Scharfe schwarze Schatten über dem Hof. Er wollte sich abwenden, da stöhnte es hinter ihm. Jonathan stand da, mit dem vollen Blick auf den bedeckten toten Mann, wischte sich die Tränen von den Backen, ging vor Marduk zum Hoftor.
    Der Ältere, den Korridor betretend, murmelte vor sich: »Es war schon gut, daß ich davon gelassen habe. Wir werden weiter so machen.«
    Schnürte den Rock fester, schlich, von Wachen gefolgt, weiter. Voll Abscheu sah ihm Jonathan nach.

    JONATHAN TRAT morgens in Marduks Empfangszimmer im Stadtgebäude, gab ihm die Hand: »Wunderst du dich, daß ich komme, Marduk? Nein, nicht wahr, du wunderst dich nicht; du darfst dich nicht wundern.«
    Ein schönes saalartiges Zimmer hatte Marduk; Marke hatte es herrichten lassen. Links und rechts Riesengemälde vom Boden bis zur Decke. Auf der einen Seite farbige Massen, Balken Drähte Maschinenteile, die, als wenn sie nicht zu halten wären, plastisch aus der Wand heraustraten. Auf der anderen die Überschwemmungen Schuttanhäufungen, versinkende Tiere und Menschen. Eine Knochen- und Schädelpyramide in der Mitte des Zimmers. Jonathan zuckte: »Hier wohnst du, Marduk.« Der gab keine Antwort. Dann, hinter dem Tisch: »Was bringst du.« »Ich weiß es nicht. Aber ich kann nicht mit dir in Unfrieden leben«, seine Augen schielten, »und bitte dir alles ab, was ich gestern gedacht habe. Und bitte dich inständigst, du möchtest nicht davon sprechen, nichts zu mir davon erwähnen.«
    »Ich glaube, Jonathan, du kommst nicht meinetwegen, sondern deinetwegen her.«
    »Ich kann nicht mit dir Ruhe finden, Marduk. Du wünschest, daß ich dein Spiegel sei. Ich will mehr als dein Spiegel sein. Ich habe zwei Hände einen Kopf ein Gefühl; ich bin ja dein Freund.«
    »Wir wollen zusammen essen. Nicht mehr sprechen.«
    Marduk faßte den Jungen unter den Arm; sie gingen in das kleine schmale Nachbarzimmer, sprachen bei der Tafel lange nichts. Marduk dachte: »So unterwürfig ist er, weil er um seine Mutter leidet. Er ißt viel, weil ich neben ihm sitze. Er sitzt ruhig. Er schielt nicht. Er lächelt mich immer an. Was für ein gequältes Wesen ist er. Und solch kaltes Tier wie mich muß er zu seinem Freund haben. Freund sagte er; ich bin ihm so Freund, wie ihm das Brot der Wein da Freund ist. Ich bin ihm Lebensbedingung. Er war auf einem Fluchtversuch.« Marduk lehnte sich zurück, die Hände vor der Stirn: »Ich habe heute vor, mich mit einigen, die ich erschreckt habe, zu unterhalten. Ich muß sie beruhigen. Ich will selbst in mein Landhaus fliegen, ihnen einige Anordnungen vorführen.« Er unterbrach sich; ihm flog durch den Kopf: »Was nutzt es, daß ich alle Weisheiten der Erde besäße und hätte der Liebe nicht.« Gleichmütig sanft Jonathan, die Serviette faltend: »Ich komm gern mit.«
    Marduk, weiter zielend: »Wir begleiten die Herren zu den Versuchen über Wachstumsunterbrechung und -antriebe bei jungen und älteren Tieren.«
    »Wie du magst«, nickte Jonathan zum tiefen Erstaunen Marduks; »ich bin nur froh, daß du mir nichts nachträgst.«
    Als der Konsul, wie um etwas abzuschütteln, aufstand, hatte er das Gefühl allein zu sein: »Ich habe einen Freund

Weitere Kostenlose Bücher