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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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zurückgelehnt an einem Schrank, schluchzend flehend: »Ist jetzt fertig? Ist jetzt gut?« Reichte dem Mulatten, ohne ihn anzusehen, die feine zitternde Hand, die eiskalt und bis zum Gelenk abgestorben war. Und sonderbar, wie sie seine hitzigen Finger fühlte, der schreckliche Dunst dieses Tieres, das vor ihr stand, zu ihr herüberschwoll, fühlte sie sich bewegt, die Augen zu öffnen, ihn, wie er zärtlich süßlich und dienerhaft gemein grinste, mit dem Blick zu umfassen, ganz ruhig zwei Schritt auf ihn hin zu tun, den weißblonden Kopf an seine Brust zu senken. Mitten in den schrecklichen Dunst hinein. »Geh jetzt« flüsterte sie, wie er es wagte, leicht über ihre Schultern zu streicheln. Sie zuckte hoch. Er war fort; sie hatte nun dies getan, hatte es hinter sich. Sie blies wehte die Luft von sich. Und wie sie an das Tier dachte, rutschte rauschte sie mit einem leisen Ton aus, zu Boden, lachte flüsterte schimpfte verwirrt gegen den Boden hin, wie im Saal des Ratsgebäudes.
    In ihren Gliedern, ihrem erlahmenden Rückgrat blieb die ungeheure Erregtheit stecken, die sie nicht schlafen ließ, die mit einem hohen gequälten Ton in ihre Stimme stieg. Nun wagte sie es mit anderen Frauen ihres Hauses über sich zu sprechen; die jungen und älteren zarten und starken Männer aber, die um sie waren, betrachtete sie jetzt aufmerksamer. Sie versuchte die Männer, versuchte sich an den Männern. Sie saßen neben ihr, hängten sich glücklich und fiebernd an ihren weißen schamüberglühten Hals. Es regte sich nichts in ihr; sie streichelte sie, tiefer und tiefer geängstigt vor sich. Weinend mußte sie ihren Kopf auf die Kissen und Polster legen; man sollte sie nicht quälen, sie seien ja alle so gut. Nur nach dem Mulatten hatte sie öfter ein bitteres schauriges fast kindliches Verlangen. Der durfte nicht gehen, wenn er sich in der Nähe ihres Hauses zeigte. Es zog sie etwas zu ihm, etwas Vertrautes, er mußte zu ihr kommen. Es war schrecklich, wie sie ihn einmal auf ihr feines einfaches Zimmer nahm, ihn, was sie nie tat, mit Kuchen und Likören bediente, den farbigen Mann in der gelben Viehtreiberjacke, der sich grinsend breit machte vor der demütig ernsten Frau, wie er ihr den Rest seines Likörglases an die Stirn spritzte, sie im Moment herriß. Sie schrie im Schreck. Die starke Frau rang und schlug sich besessen mit ihm, zerbiß seine Hände und lag dann, krachend auf den Boden gestaucht, winselnd still. Er ließ sie grimmig atemlos, Glas um Glas des Likörs herunterstürzend, den Mund mit Kuchen vollstopfend, liegen. Diesen Mann ließ sie noch manchmal zu sich rufen; sie wußte nicht, was sie zu ihm trieb; er tat mit ihr wie mit einer Sache, sie erduldete alles.
    An einen jungen fast knabenhaften Mann, den sie Desir nannte, hängte sie sich, war ihm öfter aufgelöst, Trost suchend, abwesend, bettelnd, gut. Sie träumte in dieser Zeit oft von einem Wasser, auf dem sie fuhr. Desir war ein weißer Schwan, der vor ihr schwamm; sie lag in einem Boot, er zog sie, zog sie immer weiter, weit fort.
    Als Marduk die stärkere Nutzbarmachung des Landes betrieb, das ihr gehörte, verlangte sie wieder mit ihm zu sprechen. Und als es ihr abgeschlagen wurde wie jedem sonst, wandte sie sich an Marduks jungen Freund Jonathan. Die schöne weiße Balladeuse war erschreckt, als nach einem durch Kurier überbrachten Brief, sie hätte mit ihm zu verhandeln, eines Mittags Jonathan selbst im Flugzeug auf dem Dach ihres Hauses erschien. Oben neben seinem leichten Apparat, den er sicherte und abstellte, stand sie, betrachtete den feinen braunhaarigen Jüngling, der sich an das Dachgitter lehnte, lächelnd sagte, er sei gekommen. Er wisse wenig, was er mit seiner Zeit anfangen solle; ob sie ihm böse sei, daß er gekommen sei. Wie hatte sich dieser Mensch, den sie kannte, in den letzten Jahren geändert! Wie gleichmütig versunken lächelte er, wie hob sich manchmal seine linke Augenbraue und zuckte schmerzlich. Er sprach so leise und freundlich, und wenn sie antwortete, so wußte sie aus seinem leeren Blick, seinem Mund, der sich bewußtlos öffnete, dem Kopf, der sich zur Seite bog, daß er meist nicht zuhörte. Dies war der Freund Marduks. Sie nahm ihn in ihr Haus herunter; er wollte kein Zimmer, im Garten saßen sie. Bald sagte sie, sie wolle Marduk sprechen. Er zog Holunderäste über sich: »Warum wollen Sie Marduk sprechen? Er hat so wenig Zeit. Lassen Sie ihn doch, Marion.« Sie saß aufrecht, war, je mehr sie Jonathan sah, stier und

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