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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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ruhen.
    In dieser Zeit gebar sie zwei Kinder, zwei Mädchen, die sie selbst an der Brust aufzog und pflegte. Groß war die Zärtlichkeit der mütterlichen Divoise zu ihren Kindern; sie hatte von ihrer Schönheit und Art nichts verloren. Und eines Tages erkrankte das jüngere Kind. Die Erregung der Divoise; blitzrasch veränderte sie sich. Wen sie erreichen konnte von Ärzten zog sie herbei. Geschüttelt saß die dunkel verhüllte Divoise am Bette des Kindes, schrie nach Hilfe. Mit Angst Haß Bangigkeit verfolgte sie das Agieren der stillen Männer und Frauen am Bett. Saß zuletzt nicht mehr in der Nähe des klagenden und heftig atmenden Kindes, saß nahe der Wand, wo sie niemand sah, über sich gebeugt, ein Tuch, das ihr Desir auf die Schultern gelegt hatte, über dem Kopf.
    Das Kind zog die Luft gleichmäßig mit hohem Tönen ein, gab sie rasch von sich. Eine Pause. Wieder hohes Tönen Blasen. Die Ärzte hielten das Vergehen der kleinen Seele nicht auf. Als es frühmorgens nicht mehr blitzrasch das Köpfchen warf und mit suchenden Augen nach rechts und links fuhr, und ohne die Wimper zu bewegen aus großen runden Augäpfeln, trübe überhauchten, die in Schwärze liegende Decke betrachtete, bewegte sich die mütterliche Divoise, das violette Seidentuch über Rumpf und Gesicht, heran an das Bett, lag eine Weile zu Füßen des schweigenden Wesens. Mit dem Gesicht aufliegend nahm sie finster schluchzend das Füßchen des Kindes in den Mund, sog daran, legte es sich an den Hals. Trug das tote Wesen im Zimmer herum, setzte sich, während das Tuch rückwärts von ihr abfiel, auf den Stuhl, den eben der Arzt verlassen hatte, hielt das Erstorbene auf dem Schoß, setzte es auf; die Arme schlenkerten an dem kleinen hemdbekleideten Mädchenkörper. Marion, nicht hörend, was man ihr sagte, hielt das Kind fest, wickelte es in ihr wieder aufgerafftes Tuch, schleppte es durch das Zimmer, summend, mit festem Schritt. Dies tat sie stundenlang bis zum Morgengrauen: gehen, das Kind wickeln aufsetzen, bis es steif geworden war und aufrecht auf ihrem Knie saß mit gesunkenem Kopf. Eine Frau nahm ihr das kalte wachsfarbene Wesen aus den Händen: »Nun ist’s gut, Marion! Nicht wahr, nun ist’s gut?« »Ich hab es nicht weggegeben« zitterte Marion mit leeren Händen, »du hast es mir weggenommen, das mußt du wissen.« Saß noch da, wie das Erstorbene zugedeckt wurde. »Mein Tuch drüber, mein Seidentuch. Nun hast dus weggenommen. Nun ist es geschehen.«
    Aus dem stillen Zimmer ging sie. Über einen Flur. Wie sie eine Tür öffnete, schlief drin das ältere Kind. Das Morgenrot schien herein. »Warum nur das eine? Warum nur? Es könnte auch das andere sein. Soll ich warten?« Sie zitterte von den Knien aufwärts in Wellen bis in den Hals; nahm das schlafende Kind mit zwei besinnungslosen Griffen hoch. Schon schrie es aus ihrem Mund: »Desir, Desir.« So bündig scharf schrie es aus ihrem Hals, er war in wenigen Augenblicken bei ihr. Sie preßte, den Mund schließend, zwischen den Zähnen, sich vom Licht abwendend: »Da ist das Kind. Da hast du es. Leg es hin.« Er mußte ihr die Finger ablösen von den Ärmchen des Kindes, das schlafend über ihrer Schulter hing, einen kalten verklammten Finger nach dem andern.
    Sie haßte von da ab Marduk. Nichts beglückte sie so, nichts war ihr inniger als der Haß auf Marduk, den langen Menschen, braunschwarz, mit dem Riesenkopf, den dunklen ernsten Augen, den unsicheren Beinen. Wenn sie heimfuhr von dem Kind, von ihrem Mann aufstand: dies empfing sie doch und hüllte sie gewaltsam ein. Es war etwas wie ein Rachegefühl in ihrem Haß. Ruhig hielt sie damit an. Sie war ihrer Dinge gewiß.
    Sie stand eines Tages vor Marduk, der aus der Wand der Uralischen Flammen hervortrat zwischen den flüchtenden versinkenden Menschen. »Komm da weg« herrschte sie ihn an, »du stehst da schlecht.« Sie zog ihn an die Schädelpyramide: »Da stehst du gut, Marduk. Bleib da stehen.« »Was willst du, Balladeuse.« »Balladeuse, Balladeuse. Mir liegt an Balladen nicht. Es waren nicht meine Balladen. Ich kann nur sagen, daß –« »Daß du mich liebst.« »Daß ich dich liebe? Bist du verrückt, Marduk. Ich dich lieben? Wofür denn? Um was?« »Lach nur. Darum bist du hergekommen, darum habe ich dich ohne Wachen hereingelassen. Es kommen öfter welche herein. Ich merke es gleich. Es macht mir nichts aus.« Sie trat an ihn heran: »Du bist wahnsinnig, Marduk. Ich verbiete dir so zu sprechen. Es ist schamlos. Ich habe

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