Berge Meere und Giganten (German Edition)
Augen, lief an ihn heran. Das geradeausblickende Gesicht des Mannes. »Sagen Sie, ich bin erschrocken. Ich glaubte, Sie hatten eben ein grünes Kleid an.« Er drehte ihr seine Augen zu: »Ja. Und?« »Jetzt?« Er fuhr zusammen. Blieb stehen, sah an sich herunter. Er hob die Fäuste vor die Augen, stöhnte: »Jetzt laufen Sie. Verraten Sie mich. Was für einer ich bin. Was ich für ein Kleid trage. Ich heiße Lorenz. Und Sie?« »Elina.« »Elina, Sie dürfen nicht weiter. Sie haben mich in der Hand; ich muß mich schützen.« »Sie wollen mich halten?« »Ich sagte es schon.« »Ich sehe nichts ein, Lorenz. Aber ich trage auch etwas.« Sie lachte ihn siegreich an. »Sie glauben, man müsse ein farbiges Kleid tragen, um ein Täuscher zu sein. Ich täusche auch so. Dicht neben Marduk. Glauben Sie’s nicht? Sehen Sie meine Schulter.« Sie zog, dicht an ihn tretend, ihren Brustausschnitt zurück; bläulich war die Schulter überlaufen. Er blickte noch hin, als sie die Schulter schon wieder bedeckt hatte. »Sie wundern sich. Werden Sie mich angreifen?« Er griff nach ihrer Hand, drängte sich an sie, das Staunen hatte sein Gesicht geöffnet, langsam brachte er heraus: »Nein. Ich kenne Sie nicht. Heißen Sie wirklich Elina. Ich weiß nicht, was Sie treiben. Seit wann sind Sie hier. Wo sind Sie.« »Ich bin Jonathans Freundin. Er ist mein Freund. Er ist doch nicht Marduk. Fürchten Sie sich nicht. Ich bin froh, ich bin glücklich, daß ich Sie gefunden habe.«
Sanft flog Jonathan mit der ächzenden Frau durch Waldlichtungen, über Wiesen Alleen. Sie lag hinter ihm unter Elinas Schal. Zierlich erhob sich die Heuschrecke, abwechselnd schnurrten und klangen die spiralenen Beinchen. Er wagte sich kaum nach ihr umzusehen; er fürchtete, sie könnte sterben. In wachsender Besorgnis fuhr er, verbog die Hebel, aber immer gleichmäßig schwebte und taumelte die Heuschrecke. Die Kinder lachten auf den Chausseen dem ansummenden Liebesgefährt zu. Er seufzte, als wenn ihm selbst eine Gefahr drohe. Das kleine rosa Krankenhaus auf einer baumumstandenen Wiese. Als die Schwestern die Frau herausgehoben hatten, blieb Jonathan lippenkauend bei seinem Apparat, stieg dann langsam die Treppe nach. »Sie werden sagen, sie ist tot. Sie werden aus einer Tür, aus einem Aufzug hervortreten und mir erklären, daß sie nichts mehr tun können.« Er stellte sich an ein Fenster. »Es kommt niemand heraus. Ich kann hier lange stehen. Wie viele Menschen haben hier gestanden und die Bäume drüben angesehen. Die Bäume abgezählt. Sechs in einer Linie, fünf dahinter. Es sind gar nicht die Bäume, die sie gesehen haben; sie haben etwas anderes gesehen; die Bäume sind nur darin eingetragen, wandeln darin herum, kommen und gehen.« Er stemmte den Kopf gegen den Fensterrahmen, stöhnte: »Ich wollte nicht nach Berlin. Ich wollte nicht hierher. Wenn ich hier weg wäre. Oh, wenn es eine Kraft in der Welt gäbe, die mir helfen könnte. Die mich forttrüge und dies alles rasch beendete. Daß ich die Bäume nicht mehr zu sehen brauch, daß ich dieses Haus vergesse und wie ich hier stehe. O du große Kraft, gib, daß hier nichts geschehen ist, hilf mir. Sie soll nicht sterben, es soll alles wieder gut sein, ich will ja weg von Berlin.« Und hinter seinen Gedanken tauchte schon, er wußte nicht wie, Marduk auf, finster beängstigend, und hinter ihm, mit ihm noch Schlimmeres, so Schlimmes Dunkles Verhülltes. Gebunden stand er; er drohte ohne sich zu bewegen: »Wenn ich diesmal frei komme, kommen sie nicht so leichten Kaufs davon. Dann soll etwas geschehen. Ich will es nicht leiden. Ich will nicht. Ich will nicht. Ich setze mich zur Wehr.« Er rekelte sich, er wußte nicht was er tat, keuchte mit vortretenden Augen, rang sich von dem Alp los. Eine Schwester rauschte sanft und tief ihn anblickend, neben ihn. Sie stand erst stumm vor dem Entsetzten, dann: die Frau sei durch den Blutverlust geschwächt; in zwei drei Wochen werde sie hergestellt sein. Finster wortlos zog sich Jonathan die Treppe herunter. Dann stürzte er, lief. Als er in seiner Heuschrecke saß und flog, schrie er und tobte, brüllte und weinte, während er auf und ab flirrte, wußte tränengeblendet nicht warum. »Es ist wieder gut« ging es schwellend betäubend durch ihn, »es ist ja wieder gut. Jonathan, sei still. Jetzt fährst du ja zu ihr, zu Elina. Es geht vorüber. Jetzt ist alles vorbei.« Und wie er ihren purpurroten Rock im Gehölz wehen sah an dem Wege, den sie hergefahren waren,
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