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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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»ultimative Erstbegehung« in den Dolomiten – in meinen Utopien als »Butterfly« abgelegt, später als »Fisch« von anderen realisiert – interessiert mich plötzlich viel weniger als die Grenzgänge im Himalaja und Karakorum. So vollziehe ich (fast unbewusst) den Paradigmenwechsel: vom Felskletterer zum Höhenbergsteiger.

»Unsere Krise ist eine Krise des Sattseins.«
    Ein Schritt vor dem Ausgebranntsein
    D as Burn-out-Syndrom kennen nicht nur Sozialarbeiter, Geschäftsleute und Politiker, sondern auch Grenzgänger. Wer eine längere Zeitspanne an der Grenze seiner Belastbarkeit und in großer Gefahr gelebt hat, spürt früher oder später Müdigkeit, Unlust, vielleicht sogar Zweifel am eigenen Tun. Zweifel weniger am Sinn als an sich selbst. Ein Nachlassen der Leistungsfähigkeit, der Kreativität, der Motivation ist die Folge. Im Extremfall kommt es zu psychosomatischen Krankheiten, manchmal sogar zu Verzweiflungsanfällen, zu Apathie.
    Grenzgänger, die gelernt haben sollten, auf Konflikte zu reagieren, meint man, fänden rechtzeitig aus dem Teufelskreis des Ausgebranntseins heraus, in dem sich der Blickwinkel immer weiter verengt, das Abschalten nicht mehr gelingt, die »innere Emigration« der letzte Fluchtweg bleibt.
    Es ist umgekehrt. Häufig sind jene Menschen Opfer des Burn-out-Syndroms, die überhöhte Ansprüche an sich selbst stellen. Ausgerechnet beim Scheitern in Extremsituationen setzen wir uns massiv dem Ausgebranntwerden aus. Im gelungenen Grenzgang steckt ein Erfolgserlebnis, das mir hilft, ein positives Selbstbildnis aufzubauen. Dieses ist übertragbar auf alle Bereiche des Lebens. Jede gelungene Tat empfinde ich als Auszeichnung, die ich mir selbst gebe; die Selbstachtung steigt und hat Bestand. Wenn auch nicht ewig. Wiederholtes Scheitern schwächt. Langsam rüttelt das Ausgebranntsein meine ganze Person in ein reduziertes Engagement.
    Die Tatsache, dass ich nach jedem Erfolg, zumindest über eine kurze Zeitspanne hinweg, ein Gefühl der Leere empfinde, hat wenig damit zu tun. Diese Leere ist nicht mit dem Burn-out gleichzusetzen, das ein zerstörerisches Potenzial hat. Ausgebranntsein äußert sich durch massiven Energieverlust. Eine realisierte Idee fehlt mir nun als Vision. Etwas, auf das ich mich gefreut habe, auf das ich mich eingestellt habe, mit dem ich mich identifiziert habe, ist mir mit der Verwirklichung abhanden gekommen. Wichtig: Beides, Ausgebranntsein und diese Art der Leere, haben nichts mit Flucht zu tun. So wenigstens sind meine Erfahrungen.
    Wie oft ist mir in jungen Jahren vorgeworfen worden, ich würde mit meinen Klettertouren vor der Realität flüchten! Dabei hatte ich das Gefühl, in die Realität aufzubrechen. Auch beim Umsteigen von einem Tun in ein anderes.
    Wie spüre ich sich ankündigende Phasenübergänge? Nicht immer bewusst! Klettern, dachte ich früher, kann ich ein Leben lang, auch alleine, wenn ich mich dabei mit mir selbst identifiziere. Als ich 1969, in der aktivsten Kletterzeit meines Lebens, davon träumte, noch einen Schritt weiter zu gehen in der Eleganz und Schwierigkeit meiner Erstbegehungen, kündigte sich doch gleichzeitig eine Veränderung meiner Interessen an. Ich habe es nicht bewusst wahrgenommen, aber ich spürte, dass ich in einem anderen Feld – es sollte später das Höhenbergsteigen werden – nochmals neu ansetzen musste, um über die bisherigen Erfahrungen hinauszukommen. Jeder Mensch ist nach einer bestimmten Zeitspanne seines Lebens in anderen seiner Fähigkeiten und Spielmöglichkeiten gefordert.
    Nicht nur für Laien, auch für Kletterer war es damals ein Sakrileg, die schwierigsten Routen in den Alpen alleine zu durchsteigen. Ich wurde als »Verrückter«, als »Selbstmörder« abgestempelt. Ich tat es trotzdem. Lächelnd hörte ich mir die vielen Vorwürfe von »gesetzten« Leuten an, die sich das Leben im Fernsehen anschauten, und machte erst dann mit meinen »Verrücktheiten« Schluss, als ich mich nicht mehr für diese Form des Grenzgangs begeistern konnte.
    Oft sind es die veränderten Grundvoraussetzungen – die sich ändernde Zeit, die Problemstellungen, die Technik –, die ein Umsteigen von einem Tun in ein anderes fordern. Der Paradigmenwechsel kann zwingend sein. Auch das Ausgebranntsein ist ein häufiger Auslöser. Ich denke allerdings, dass

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