Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
ich umsteigen muss, bevor ich völlig ausgebrannt bin. Und Ruhe, Erholung, Neubesinnung brauche ich immer, um wieder voll einsteigen zu können. Ob in meinem alten oder neuen Tun, bleibt sekundär.
Die körperlichen und seelischen Erschöpfungszustände beim Ausgebranntsein hinterlassen Lustlosigkeit, oft sogar Hoffnungslosigkeit. Wie kann sich ein ehedem engagierter Mensch neu orientieren, wenn ihm sogar seine Ideale schal oder leer erscheinen, weil sie ausgebrannt sind? Er braucht erstens genügend Zeit zum Neuanfang â Abschalten, Freunde, neue Tagträume â, zweitens ein neues Spielfeld, das ihm entspricht. Er muss zuerst aus der »inneren Emigration« heraus, dann Hoffnung schöpfen mit anderem Tun. Feinfühlige Menschen haben oft Instinkte dafür entwickelt, früher als andere zu spüren, dass sie umsteigen wollen/sollen. Einen Schritt vor dem Ausgebranntsein umsteigen bedeutet, mit mehr Elan, mit mehr Grundenergie in das neue Leben einsteigen. Den richtigen Augenblick für das Umsteigen zu finden ist hilfreich, aber schwer lernbar.
Drei Beispiele aus der Welt der Alpinistik möchte ich nennen, die zeigen, dass das Umsteigen im richtigen Moment zu neuen Erfolgen führt.
Luis Trenker, der berühmte Filmemacher und Erzähler, war vor dem Ersten Weltkrieg ein guter Kletterer. Nach einer Zeit als Frontsoldat und dem anschlieÃenden Architekturstudium ist er weiter auf die Berge gestiegen. Dann aber ist er Filmemacher geworden. Er ist zwar in seinen Filmen weiterhin geklettert, aber all seine Energie verwandte er Ende der Zwanziger- und in den DreiÃigerjahren ausschlieÃlich für das Medium Film: als Schauspieler, als Drehbuchautor, als Produ-zent, als Regisseur. Nicht mehr das Klettern an sich war ihm wichtig, sondern das Darstellen des Bergsteigens.
Ãhnlich erging es dem Italiener Walter Bonatti, sicherlich der erfolgreichste Bergsteiger zwischen 1955 und 1965. Mit seiner winterlichen Solodurchsteigung der Matterhorn-Nordwand 1965 hat er das extreme Bergsteigen aufgegeben. Er ist Bildreporter geworden und hat als solcher für international renommierte Zeitschriften Geschichten produziert. Mit groÃem Erfolg.
Auch Martin Schliessler will ich in diesem Zusammenhang erwähnen. In den Fünfzigerjahren einer der besten Bergsteiger Deutschlands, ist er später in das Filmgeschäft übergewechselt und hat als Kameramann und Produzent aufregende Dokumentarfilme produziert. Er ist auch Künstler. Er steigt immer wieder von einer Tätigkeit auf eine andere um. Seine Berufe sind ihm Berufung: Bildhauer, Dokumentarfilmer, Abenteurer.
Der Mensch hat a priori keinen Beruf. Ich weiÃ, unsere heutige Gesellschaftsform schreibt eine spezifische Ausbildung immer zwingender vor. Könner in einer winzigen Sparte des menschlichen Tuns sind gefragt, nicht »Gelegenheitsarbeiter«.
Auch ich bin ein Spezialist. Wir leben heute in einer gigantischen Leistungsmaschinerie und können nicht alles können. Trotzdem haben einige von uns die Möglichkeiten, ohne gelernten Beruf zurechtzukommen. Ich schätze sie glücklich.
Ich arbeite nicht in einem Beruf, zumindest nicht in dem Beruf, den ich erlernt habe oder erlernen sollte (Geometer, Hoch- und Tiefbauingenieur, Architekt). Ich lebe. Ich tue das, was ich am besten kann. Auch habe ich meine Tätigkeiten als Grenzgänger samt der dazugehörigen Auswertung immer wieder verändert. Genau genommen bin ich in einem halben Dutzend Berufen tätig: als Autor, Vortragsredner, Fotograf, Bergbauer, Filmemacher, Guide von Incentive-Gruppen. Meine Haupttätigkeit, der Grenzgang, gehört nicht dazu. Er bringt nichts ein. Er ist meine Berufung.
So wenig das Tier und die Pflanze einen Beruf haben, so wenig hat der Mensch von vornherein einen Beruf. Es ist nicht so, dass ich diese Lebenshaltung als allein selig machende predige. Im Gegenteil, ich akzeptiere die Schule, die Ausbildung, die Spezialisierung. Aber nur als notwendiges Ãbel. In dieser dicht besiedelten, sich immer weiter spezialisierenden Welt kämen wir sonst nicht zurecht. Naturgesetz ist das heutige Berufsschema der Menschen allerdings nicht. Wir Europäer sind nicht so flexibel wie andere Gesellschaftsgruppen. In Amerika zum Beispiel werden Berufe vielfach gewechselt wie das Hemd. Dabei stehen Einkommen, Erfolg, Ehrgeiz gerade in den USA hoch im Kurs.
Leider ist der Ehrgeiz in Mitteleuropa eine Eigenschaft mit negativem
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