Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
seelische, feinstoffliche Mensch ist unbegrenzt, also ist seine Erfahrungsmöglichkeit unbegrenzt. Diese ist aber nur dann voll ausschöpfbar, wenn ich sie körperlich umsetze, wenn ich geistige Erfahrungen realisiere und umgekehrt körperliche Erfahrungen vergeistige. Jeder muss seinen Weg finden. Immer wieder. Das Suchen ist der Clou! Auf seinem Weg zu bleiben oder umzusteigen, wenn die Zeit gekommen ist, bleibt leicht. Zu spüren, wohin es mich treibt, ist wie Eingebung. Zu ahnen, wann es Zeit ist für einen Umstieg, verlangt viel Feingefühl.
Zu wissen, in welchem Tun ich zu welcher Zeit zur gröÃten Lebensfreude und damit auch zur gröÃtmöglichen Leistung fähig bin, hat weniger mit Schule oder Ratio zu tun als mit Offensein. Es ist auch eine Angelegenheit unserer Instinkte.
Unseren Herzensfreuden nachgeben zu lernen ist offensichtlich schwieriger, als rationale Schlüsse zu ziehen. Ich bezweifle, ob in diesen Fragen der Psychiater der richtige Ansprechpartner ist. Ein paar gute Freunde und Distanz zu sich selbst, zum Arbeitsplatz, zum eigenen Tun können Helfer sein, seinen Weg zu finden, den richtigen Augenblick zu erraten, aus einer »notwendigen« Tätigkeit in eine andere, faszinierende Phase des Lebens zu springen.
»Jeder muss den Weg gehen, der für ihn richtig ist, und jeder dieser Wege ist anders.«
III
Nochmals geboren werden
⢠Sinn ist definiert durch den Gang des Kosmos, Geist durch Chaos und Ordnung.
⢠Der Mensch gibt Sinn.
⢠Sinn geben, nicht suchen/finden.
⢠Indem ich etwas wichtig, schön, faszinierend finde, mache ich es sinnvoll.
⢠Keine fremde Religion oder Lebenshaltung annehmen und keine stiften.
⢠Das nutzlose Abenteuer als Möglichkeit zur Definition von Sinn begreifen.
⢠Die Relativität des Nützlichen.
⢠Schizophrenie als Ãberlebenshilfe, Halluzination als Realität.
⢠Arterhaltung kann nicht Sinngebung entsprechen (Survival of the fittest).
⢠Sinn im Unternehmensziel(/-spiel) sehen und in der Notwendigkeit, sich auszudrücken, zu gestalten.
⢠So wie ich mein Tun infrage stelle, stelle ich alles Tun infrage.
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»Die Frage nach Gott lasseich offen.«
Der Tod als Neuanfang
Herbst 1969
Einladung zur Sigi-Löw-Gedächtnisexpedition am Nanga Parbat durch Dr. Karl Herrligkoffer, München. Ich sage zu.
Da ich als Teilnehmer der Expedition zur Rupalwand für meine Kosten selbst aufkommen muss (mein Jahresgehalt als Lehrer), übernehme ich eine Supplentstelle als Mittelschullehrer in Eppan bei Bozen.
Weihnachten 1969
Auch mein Bruder Günther wird zur Nanga-Parbat-Expedition eingeladen. Er arbeitet als Bankangestellter in Bruneck und will, da seine Freistellung (drei Monate) abgelehnt wird, kündigen. Es steht für uns beide ohne Diskussion fest, dass wir am Berg eine Seilschaft bilden werden.
Günther, der mit seinem Leben als Bankkaufmann unzufrieden ist, fühlt sich nach seinem Entschluss, zu kündigen und mitzumachen, befreit. Nach der Expedition will er »ein anderes Leben« anfangen.
Beide verstehen wir das Alpenbergsteigen als eine Möglichkeit zur SelbstäuÃerung auÃerhalb des Dschungels der Städte, wo wachsende Bürokratie, lähmende Versicherung und bürgerliche Intoleranz mehr und mehr zu einer Art Knast werden. Uns ist klar: Es steht nirgends geschrieben, dass unser bürgerliches Leben so sein muss, wie wir es geführt haben. Die gemeinsame Nanga-Parbat-Expedition verstehen wir nicht nur als Möglichkeit, eine neue Dimension des Bergsteigens kennenzulernen, sondern auch als Ansatz zu einem Neubeginn im Leben auÃerhalb der Berge.
April/Mai 1970
Anreise zur Tap-Alpe (3600 m, Basislager) und Vorbereitung der unteren Wandhälfte. Unsere Route verläuft im Zentralteil der Wand. Wir operieren im althergebrachten Stil: Einheimische Hochträger aus dem Hunzatal helfen uns, Lager aufzubauen, in denen wir Unterkunft finden. Die Route wird mit fixen Seilen abgesichert. Innerhalb von 40 Tagen präparieren wir die Wand bis 6600 Meter Höhe mit Hochlagern, Fixseilen und Nahrungsmitteldepots. Der Expeditionsleiter Dr. Herrligkoffer, der selbst nie einen Achttausender bestiegen hat, lässt eindeutige Führungsschwächen erkennen. Er versucht, Günther und mich zu trennen. Wir sollen nicht in einer Seilschaft steigen. Wir bleiben trotzdem zusammen.
Juni 1970
Wegen schlechten
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