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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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30, mit 60 oder vielleicht erst mit 100 Jahren sterbe. Wichtig ist nur, dass ich mich konzentriere, keinen Fehler mache, meinen Weg gehe. Mein Leben ist ganz ausgefüllt.
    23.6.1969
    Um 2 Uhr nachts steigen Peter und ich wieder in die Ostwand des Yerupaja Grande ein. Wir wollen Sepp Mayerl und Egon Wurm unterstützen, die den Pfeiler links der Wand erstmals über eine sehr schwierige Route durchklettern. Aufgrund von Steinschlag und mehreren Schneerutschen gehen wir ins Ostwandlager zurück. Der Expeditionsleiter Otti Widmann und Heli Wagner sind am Vortag vom Pfeilerlager III ins Basecamp abgestiegen.
    Peter und ich gehen über die Südwestflanke auf den Yerupaja Chico. Dabei beobachten wir Sepp und Egon bei ihrer diffizilen Kletterei zwischen dem Vorgipfel und einer riesigen Wechte unterm Hauptgipfel, den sie morgen erreichen werden.
    9.7.1969
    Rückkehr nach Villnöss. Besuch bei Sepp und Egon in der Universitätsklinik Innsbruck, wo ihre Erfrierungen behandelt werden, die sie sich bei ihrem dramatischen Abstieg vom Yerupaja Grande zugezogen haben.
    15.7.1969
    Nach einem halben Dutzend Klettertouren in den Dolomiten Fahrt nach Chamonix, wo ich als Gast der ENSA (Nationale Französische Berg- und Skischule) mit Erich Lackner ausWien zusammentreffen soll. Er ist nicht da.
    16.7.1969
    Erich Lackner ist an den Petites Jorasses. Aufstieg zur Argentièrehütte.
    17.7.1969
    Nach einer schlaflosen Nacht später Start für die Durchsteigung der Droîtes-Nordwand. Erster Alleingang in weniger als 8 Stunden. Abstieg bis nach Chamonix.
    18.7.1969
    Aufstieg mit Erich Lackner zum Fourchebiwak am Fuße der Brenvaflanke des Montblanc.
    19.7.1969
    Aufstieg zum Col de Peuterey und weiter über den Frêney-Zentralpfeiler zum Gipfel des Montblanc.
    Ich sehe die Gipfel als Ziel, und meineWelt ist die Vertikale. Ich bin im Gleichgewicht. Es stimmt, ich mache es mir einfach. Die Gipfel sind oben. Indem ich Tag für Tag, Woche für Woche auf Berge hinaufsteige, bin ich immun gegen Zweideutigkeit und Kompromisse. Unentschlossenheit ist mir zuwider. Ich bewundere und suche Geradlinigkeit. Die Einsamkeit, die tagelange Stille, der Himmel schützen mich vor den vielen Unsicherheiten und Unverbindlichkeiten in der menschlichen Gesellschaft.
    22.7.1969
    Das Vorhaben, den »Helenenpfeiler« an den Grandes Jorasses erstzubegehen, geben Erich und ich am Wandfuß wegen Steinschlags auf. Erste Unsicherheit macht sich bemerkbar.
    23.7.1969
    Aufstieg zur Argentièrehütte und Studium des Nordostpfeilers an den Droîtes.
    24.7.1969
    Erste Begehung des Droîtespfeilers. Wir nennen ihn »Berglandpfeiler«, nach dem Wiener Kletterclub, dem Erich und ich angehören.
    25.7.1969
    Abstieg von der Couverclehütte nach Chamonix. Abschiedsfeier bei der ENSA. Nachricht vom Tod Jörg Lehnes am Fuße desWalkerpfeilers. Jörg Lehne gehörte zehn Jahre lang zu den kreativsten deutschen Bergsteigern (Große-Zinne-Direttissima, Eiger direkt imWinter). Sein Seilpartner Karl Golikow liegt mit einem Oberschenkelbruch in der Klinik. Besuch (am nächsten Tag) bei Karl Golikow.
    Bezeichnenderweise hängen Unfälle häufig mit Ausgebranntsein zusammen. Für viele von uns folgen auf eine große Serie von Erfolgen Erstarrung und Inflexibilität. Beim Bergsteigen kommt es in solchen Fällen häufig zum Tod. Anspruchsdenken, losgelöst von Begeisterung, Kreativität, Motivation, bremst nicht nur die Leistung, es führt in einen Teufelskreis von Energieverlust, Sinn- und Lustlosigkeit.
    Eine große Zahl von tödlichen Bergunfällen zeigt dies: Hermann Buhl, der erfolgreichste Alpinist der Fünfzigerjahre, starb 1957, unmittelbar nach der Besteigung seines zweiten Achttausenders. Jerzy Kukuczka 1989, nachdem er alle 14 Achttausendergipfel erreicht hatte. Wanda Rutkiewicz, zwei Jahrzehnte lang die erfolgreichste Bergsteigerin, blieb 1992, ausgebrannt, zuletzt tot am Kangchendzönga liegen. Pierre Béghin stürzte wenige Monate später an der Südwand der Annapurna ab. Der Franzose war sensibel, gescheit, kreativ und sehr erfolgreich gewesen.
    2.8.1969
    Nach weiteren Erstbegehungen im Montblanc-Massiv glückt mir die erste Alleinbege-hung der Philipp/Flamm-Verschneidung an der Civetta-Nordwestwand. Regen ab Wandmitte, Schnee im Gipfelbereich, Nebel!
    Es gelingt mir deshalb nicht, neue Erkenntnisse über den schwach ausgeprägten Pfeiler links der

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