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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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Selbstkritik noch die Aufforderung, ihr Leben zu ändern, bewusst wahrnahmen, mussten sie auf mich mit Aggressionen reagieren. Nicht weil ich ein »Übermensch« wäre, sondern weil ich sie durch meine Aktionen provozierte. Da ich mein Leben immer wieder infrage stellte, stellte ich auch ihr Leben infrage.
    Wer sein Erwachsenenleben lang nichts anderes tut, als an einer Maschine zu sitzen, den ganzen Tag, die ganze Woche über, elf Monate im Jahr, nur um Frau und Kind ernähren und am Abend vor dem Fernseher sein Bier trinken zu können, der wird sich ununterbrochen fragen: »Warum sitze ich an dieser Maschine? Was hat denn das Leben überhaupt für einen Sinn? Soll das schon alles gewesen sein?« Ganz anders derjenige, der sich mit seinen ureigensten Mitteln auszudrücken vermag. Ihm stellt sich die fatalistische Frage nach dem Sinn des Lebens nicht, ihm fließt ständig neue Kraft zu. Daraus entsteht »Flow«.
    Motivation fällt nicht vom Himmel. Sie steckt in uns allen. Es kommt nur darauf an, sie zu wecken. Jede Motivation ist auf den Einzelnen zugeschnitten. Wollen wir also andere mit unserer Begeisterung anstecken, motivieren, müssen wir auf sie eingehen. Wir müssen diese anderen Menschen vorher kennen.
    In der Antarktis habe ich zuerst mit psychologischen Tricks versucht, meinem Partner Freude zu vermitteln. Ich konnte ihm Schlittengewicht abnehmen, einige Arbeiten, um ihm das Leben leichter zu machen. In der zweiten Hälfte wurden meine Tricks härter. Es ging darum, in den letzten 20 Tagen 800 Kilometer zurückzulegen. Das war schier menschenunmöglich. Trotzdem, es klappte. Arved hat wohl immer wieder gesagt: »Das tue ich nicht; ich kann das nicht; ich bringe mich nicht um; ich bin nicht verrückt!« Aber mit dem Zelt in meinem Schlitten konnte ich ihn zwingen nachzukommen.
    In der ersten Woche nach Gateway habe ich in den Rastpausen gewartet. Bis mittags. Arved hat dann die neun Laufstunden, die ausgemacht waren, auf acht heruntergehandelt. Ich ließ mich immer wieder bremsen, und wir hinkten unserem Soll hinterher. Am Ende blieb ich hart. Es nützte nichts, wenn ich nachgab. Ich wollte durchkommen, und er auch. Also bin ich vorausgegangen. Immer so, dass ich Arved bei den Rastpausen sah. Wenn er sich näherte, bin ich wieder gegangen. Bis zum Abend. Er kam oft todmüde zum Zelt, aber er kam. Ich fand meine Methode mies, und ich fragte mich, warum ich einen Menschen so quälte. Es ging nur um meinen Ehrgeiz, ums Durchkommen!
    Natürlich ist Motivation immer auch Manipulation. Es stellt sich deshalb die Frage, wie weit wir andere für unsere Ziele beeinflussen dürfen. Es ist mir oft und immer wieder gelungen, meinen Partnern mit Tricks, mit gutem Zureden meine Ziele unterzuschieben, als wären es die ihren. Vortäuschung falscher Tatsachen ist ein Betrug. Sie gehört aber zur Überlebensstrategie. Sie hilft, die Motivation des anderen so zu manipulieren, dass sich dessen Verhalten zum eigenen Vorteil verändert. Jeder Leader tut das.
    Wenn man bürgerliche Maßstäbe ansetzt, durchbreche ich mit diesem Verhalten die Grenzen des Erlaubten. Daher ecke ich bei vielen auch an. Für diese Leute bin ich ein »rotes Tuch«, weil ich mich nicht um Konventionen schere und damit sogar erfolgreich bin. Ich passe vielen nicht ins Weltbild. Aber ich respektiere Grenzen, den anderen, auch wenn ich ihn manipuliere, die Gesetze der Natur.
    Darüber hinaus glaube ich an die Kosten-Nutzen-Analyse und sonst nur, was ich sehe. Der »wahrhaftige Mensch, hilfreich und gut« ist mir nie begegnet. Die moralischen Systeme in einer Welt von Egoisten sind mehr oder weniger gelungene Versuche, seinen eigenen Egoismus auf Kosten anderer zu verstecken. Auch wenn es immer vorteilhafter wird, sich als wahrhaftiger, hilfreicher und besser darzustellen, als man in Wirklichkeit ist, werde ich weiterhin versuchen, meine Erfahrungen und mein So-Sein ungeschminkt vorzutragen.
    So manche meiner Expeditionen wäre gescheitert, hätte ich nicht zu rhetorischen Tricks gegriffen. In der Antarktis oder in Grönland kann keiner zurückgelassen werden. Wenn einer aufgibt, müssen alle aufgeben. Wenn einer keine Lust mehr hat, kostet das auch die anderen ihren Erfolg. In einem kleinen Team kommt es auf jeden Einzelnen an.
    Die vielen unkalkulierbaren Risiken eines Abenteuers zu bedenken ist weniger wichtig als die Motivation (und Manipulation)

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