Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
Vorauslaufen. Da das Zelt in meinem Schlitten liegt, muss Arved nachkommen. Ich verstehe mich dabei nur als Antreiber, nicht als Expeditionsleiter. Ich mag feste Rangordnungen nicht und weiÃ, dass die Vorliebe für Hierarchien meist im umgekehrten Verhältnis zum wahren Persönlichkeitswert steht.
Obwohl Arved und ich zwei völlig unterschiedliche Charaktere sind und aus gegensätzlichen Sparten des Natursports (Bergsteigen und Seefahrt) kommen, ergänzten wir uns bei der Antarktis-Durchquerung ideal. Wir passten nicht zusammen, trotzdem summierten sich unsere unterschiedlichen Fähigkeiten. Dabei war ich nicht nur getragen von Leistungswillen, ich war getrieben auch von Leistungsdruck (viel Geld stand auf dem Spiel, Verantwortung den Sponsoren gegenüber, breite Ãffentlichkeitserwartung). Neben Beharrlichkeit, ja Sturheit bringt mich die Freude über das tägliche Vorankommen weiter. Ich genieÃe das Weit-Gehen.
Die beste Zerstreuung und gleichzeitig der stärkste Ansporn ist es, etwas mit Hingabe zu tun. Wenn nach unserer Ankunft (13.2.1990; günstiger Wind hat in den letzten Tagen unser Vorankommen wie durch ein Wunder beschleunigt) gleich neue »Herausforderungen im Eis« von mir Besitz ergreifen, so auch deshalb, weil ich ein begeisterter FuÃgänger bin. Arved hingegen ist Seefahrer, und er wird sich hüten, je wieder eine Strapaze wie die in der Antarktis auf sich zu nehmen.
Ich möchte nicht behaupten, dass meine Ungeduld zum Erfolg geführt hat; so wie Arved nicht sagt, dass sein Phlegma das entscheidende Momentum war. Unsere ursprüngliche Taktik ging nicht auf, und so erfanden wir Tag für Tag eine neue, 90 Tage lang. Ich habe Arved kennengelernt; er mich. Umso gröÃer war die Enttäuschung nachher über den von Dritten provozierten Streit.
»Wer andere mitreiÃen will, muss sich selbst glauben.«
Motivation â Leistungsdruck
E in Wahlspruch â »Vinciturus vincero« (Latein, volkstümlich) â, in meiner Burg Juval in Südtirol 1548 über die Haupttüre im groÃen Saal gepinselt, war einer der Beweggründe, dieses desolate Anwesen 1983 zu erwerben. »Victurus vi-cero« (klassisches Latein) kann verschiedentlich übersetzt werden: »Wer zum Sieg bestimmt ist, wird siegen.« Aber auch: »Wer sich selbst als Siegender sieht, wird siegen.« Oder: »Diejenigen, die sich zum Sieg bestimmen, werden siegen.«
In all diesen Ãbersetzungen und vermutlich auch im Originalsinn dieses lateinischen Spruches klingt die klare Aussage an, dass Motivation ein Momentum aus dem Innern ist. Es gibt keinen stärkeren Anreiz für die eigene Begeisterung als die Selbstbestimmung. Wer nicht besessen ist von dem, was er tut, wird wenig Lust dabei empfinden. Ebenso wenig Erfolg haben. Begeisterung und Erfolg gehen Hand in Hand: im Sport, in der Wissenschaft, in der Kunst. Dasselbe gilt für die Arbeit, soweit sie noch als solche zu bezeichnen ist, wenn wir sie in dieses Lustprinzip einbinden.
Diese bestimmende Dimension der Selbstmotivation schlieÃt Seele, Geist und Körper mit ein. Sie steuert den Willen, schürt ein »inneres Feuer«, lässt uns ganz aufgehen in unserem Tun. Nur so entsteht das, was »Flow« genannt wird: Du bist in deiner Hingabe ganz Konzentration, angenehm entspannt, energiegeladen, denkst an nichts anderes mehr. Die Dimension Zeit wird aufgehoben. Diese Selbstmotivation hat weder mit Egoismus noch mit Idealismus zu tun â sie steht auÃerhalb von beidem.
Ich bin kein Idealist. Ich versuche, Realist zu sein. Darüber hinaus bin ich Egoist. Ich bekenne mich zu meinem Egoismus. Und jemand, der das, was er tut â als StraÃenkehrer, Verkäufer, Bundeskanzler oder TV-Moderator â, nicht mit Begeisterung tut, soll mir keine Vorwürfe machen. Er soll sein Leben ändern. Wir dürfen alle zu unserem Egoismus stehen, wenn wir Ansprüche an uns selbst und nicht nur an die anderen stellen. Es ist nicht mehr oder weniger tugendhaft, sein Leben zu leben, als irgendwelchen Idealen nachzuhängen.
Die massive Kritik in Zusammenhang mit meiner Antarktis-Expedition darf auch als Antwort auf meine Selbstmotivation verstanden werden. Verständnis hatte ich dabei für jene »Schreibtischtäter«, die ihre Zeit daheim oder im Büro absaÃen, aber viel lieber mit mir durch das »ewige Eis« gelaufen wären. Da sie weder eine aufkeimende
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