Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
der Partner. Nicht alle sind beeinflussbar über den Willen, den Verstand. In den unterbewussten Ebenen aber, die wir kurzfristig beeinflussen können, liegt der Speicher für den Erfolg.
Wenn ich bei der Mount-Everest-Solobegehung nach oben gegangen bin, obwohl ich mir nach einem Spaltensturz vorgenommen hatte, nach unten zu steigen, war die Motivation stärker als der kurzfristige Entschluss, aufzugeben. Ein Gegenbeispiel: Als ich 1973 versuchte, den Nanga Parbat alleine zu besteigen, war ich bestens vorbereitet. Deshalb wollte ich bei der ersten Krise in der Wand aufwärtsgehen. Es gab keinen rationalen Grund, umzukehren. Obwohl ich aufwärtssteigen wollte, stieg ich abwärts. Ich lieà es zu. Denn ich bin nicht so stur, dass ich meine Ratio über meine unterbewussten Entschlüsse stelle.
Unsere Seele hat mehrere Stockwerke. Einige dieser Etagen versuchen die Psychologen und Psychotherapeuten in den Griff zu bekommen. Es gibt aber Stockwerke, von denen wir noch nichts wissen. Motivation ist wie angestaute, konzentrierte Energie. Sie speichert sich in der langen Zeit des Wartens, des Hoffens, der Hingabe. Erst wenn ein Ziel mit Leidenschaft gefüllt ist, verselbstständigt es sich. Unsere Motivation sucht dann ein Ventil, egal um welchen Preis. Motivation spielt sich mehr über Gefühle ab als über die Ratio. Die Gehirnhälfte, die ich dafür ansprechen muss, ist eine andere als jene, die Plan und Logistik erarbeitet.
Bei gröÃeren Expeditionen im Himalaja ist es einfach. Ich kann vor dem Aufstieg zu einem Achttausendergipfel die motivierten Partner herausfinden. Weniger motivierte können ein Stück weit mitklettern oder im Basislager warten. Wer überhaupt nicht bleiben will, geht. Ich habe nie jemand gezwungen, bei einer Himalaja-Expedition bis zum Ende auszuharren. Oft ist der eine oder andere früher abgereist oder im Basislager geblieben, ohne sich für den Gipfel zu interessieren.
Anders war es in der Antarktis. Ich hätte zwar ab Gateway die Expedition auch alleine zu Ende führen können, wollte aber aus zwei Gründen meinen Partner Arved Fuchs bis zum Ende dabeihaben: aus Sicherheitsgründen und weil wir zu zweit losgegangen waren. Ich wollte vor unserem »Publikum« nicht dastehen wie einer, der »über Leichen geht«. Wir sind 92 Tage lang ohne einen ernsthaften Streit ausgekommen. Auch weil jeder fähig war, die Motivationsschwäche oder den Motivationsschub des anderen aufzufangen.
Je gröÃer die Gruppe ist, umso diffiziler das Zusammenspiel. Es braucht sehr viel Fingerspitzengefühl, um unterschiedliche Charaktere zu motivieren. Bei uns Grenzgängern zählen in erster Linie die Selbstmotivation und die Fähigkeit, einen Partner aus einer momentanen Lethargie, aus seiner Müdigkeit, aus seiner Hoffnungslosigkeit herauszuholen.
Inwieweit nun unsere Selbstmotivation als Begeisterung für die Sache von innen kommt oder auf Leistungsdruck von auÃen beruht, ist schwer auseinander zuhalten. Und nicht messbar. Ich weiÃ, dass wir alle die Anerkennung der anderen suchen und brauchen. Wir sind also bis zu einem gewissen Punkt fremdbestimmt. So gesehen sind wir immer unter Leistungsdruck, soweit wir die anderen, die AuÃenstehenden, in irgendeiner Art beachten. Rational lehne ich den Leistungsdruck ab. Aber ich weiÃ, dass die stärkste Motivation aus meinem Innersten kommt, aus der Seele. Und dorthin sehe ich nicht.
Ich kann meine Erfolge nicht nur mit meinem Leistungswillen erklären. Ich gebe einfach meiner Begeisterung nach und nicht selten auch der Erwartung der anderen. Sosehr ich mich bemühe, nicht unter Leistungsdruck zu geraten, es wird mir nie ganz und auf Dauer gelingen, alle Fremdbestimmung abzuschütteln. Mit einer oberflächlichen Motivation allerdings erreiche ich nur ein niederes Momentum, mit zu wenig Energie am Ende vielleicht, um eine Grenztour durchzustehen.
Nicht selten kommt es in meinem Tun zu einer Ãbermotivation. Ob durch Leistungsdruck hervorgerufen oder durch die knapper werdende Zeit bei zunehmendem Alter, bleibt dahingestellt.
Ãbermotivation aber führt zur Lähmung, zur Verkrampfung, nicht selten zur Katastrophe. Wanda Rutkiewicz zum Beispiel, die mehr als die Hälfte aller 14 Achttausender bestiegen hatte, wollte Anfang der Neunzigerjahre den Rest der von ihr noch nicht erreichten Achttausendergipfel in Serie erklettern. Unter groÃer Aufmerksamkeit
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